© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/22 / 11. November 2022

Politische Schlammschlacht
Quartalszahlen: Zweistellige Milliardengewinne bei Saudi Aramco und den US-Ölmultis
Thomas Kirchner

Drei Monate senkte der Tankrabatt die Kraftstoffpreise in Deutschland. Seit September müssen Autofahrer wieder die volle Energiesteuer auf Benzin (65,45 Cent pro Liter) und Diesel (47,04 Cent) berappen. Und schon jetzt steht fest: 2022 wird das teuerste Tankjahr aller Zeiten. Im November 2020 kostete ein Liter Super E10 nur 1,20 Euro – jetzt sind es 1,87 Euro. Der Dieselpreis kletterte von 1,06 auf 2,12 Euro. Bislang war 2012 das teuerste Tankjahr, wie der ADAC vorrechnete: „Super E10 kostete im Durchschnitt der Monate Januar bis Oktober 1,88 Euro je Liter, das sind 29,1 Cent mehr als 2012.“ Bei Diesel habe der Durchschnittspreis bei 1,96 Euro je Liter gelegen: „Das ist gegenüber 2012 sogar eine Preisdifferenz von 47,9 Cent.“

Hauptgrund sind natürlich die hohen deutschen Steuern und Abgaben sowie die jährlich steigende heimische CO2-Bepreisung – in Frankreich kostete Superbenzin im Oktober nur 1,67 Euro in Ungarn nur 1,24 Euro. Diesel war für 1,87 bzw. 1,49 Euro zu haben. Aber auch die Ölimportpreise haben sich – nicht nur wegen des Ukraine-Kriegs, der Sanktionen und der Euro-Abwertung – innerhalb von zwei Jahren mehr als verdoppelt. Und der britische BP-Konzern, der mit seinen Aral-Tankstellen deutscher Marktführer ist, hat im dritten Quartal einen Quartalsgewinn von 8,15 Milliarden Dollar eingefahren. Shell kam sogar auf 9,4 Milliarden Dollar und der französische Konkurrent Total auf 6,63 Milliarden Dollar.

Fataler Investionsrückgang treibt die Kraftstoffpreise nach oben

Das sind allerdings „Peanuts“ im Vergleich zur Saudi Aramco: Der Staatskonzern verdiente 41 Milliarden Dollar. In den USA kostete der Liter Benzin im Oktober nur umgerechnet einen Euro. Diesel war für 1,40 Euro zu haben – dennoch erwirtschafteten die beiden US-Ölkonzerne Chevron und Exxon zusammen im dritten Quartal 31 Milliarden Dollar Gewinn – ein Rekord. Mit 19,7 Milliarden Quartalsgewinn ist Exxon (Marken Esso/Mobil) fast so profitabel wie Apple (20,7 Milliarden); Chevron (Marke Texaco) hinkt mit 11,4 Milliarden deutlich hinterher. Besonders bemerkenswert ist dieser Gewinn angesichts der im Sommer etwas schwächeren Ölpreise, die zwischen 80 und 100 Dollar schwankten. Im zweiten Quartal, als der Ölpreis noch zwischen 100 und 120 Dollar lag, war Exxons Gewinn zwei Milliarden niedriger, der von Chevron nur geringfügig höher.

Exxon stellt klar, daß eine strenge Kostenkontrolle die Gewinnmargen trotz niedrigerer Preise erhalten konnte. Bis 2023 will Exxon neun Milliarden jährlich an Kosten einsparen. Denn die Zeiten von vor 2016, als Ölkonzerne wahllos auf Wachstum gerichtet investierten, sind vorbei (JF 45/21). Im Jahr 2008 lag der Ölpreis zeitweise sogar bei 140 Dollar, doch der Gewinn lag ein Fünftel niedriger. Das zeigt, daß vor allem gutes Management die Gewinne treibt.

Als „Kriegsgewinnler“ beschimpfte Joe Biden prompt die Konzerne und forderte eine Übergewinnsteuer. Eine Übergewinnsteuer gab es in den USA in den 1980er Jahren. Eine Untersuchung des Kongresses kam 2006 zu dem Ergebnis, sie wirke wie eine Steuer auf Kapital, die Renditen senkt und Investitionen verhindert. Doch im Gegensatz zu EU-Unternehmensführern schlagen US-Firmenchefs zurück: Seit Juni tobt ein Kleinkrieg zwischen dem US-Präsidenten und den Ölmultis. In einer schriftlichen Antwort auf Bidens Anschuldigungen forderte Exxon Erleichterungen für die Produktion, wie es sie auch nach Naturkatastrophen gibt, wie flexiblere Zusammensetzung der Kraftstoffe. Längerfristig müsse die Regierung Investitionen durch unzweideutige Politik, schnelle Genehmigungsverfahren und Vergabe von Förderlizenzen fördern.

Exxon-Chef Darren Woods – Nachfolger von Rex Tillerson, der unter Donald Trump Außenminister war – warnte zudem vor einer überstürzten Energiewende: Verbraucher müßten einen hohen Preis für ein zu schnelles Tempo zahlen. Die Zahl der eingesetzten Bohrgeräte ist ein gutes Indiz für die Investitionen in Förderungskapazitäten. Unter Barack Obama waren bis zu 1.000 Bohrgeräte in den USA im Einsatz, als der Ölpreis bei 80 bis 100 Dollar lag. In der Corona-Krise fiel die Zahl auf nur noch 200, unter Biden liegt sie mit 500 auf nur der Hälfte Obamas, obwohl der Ölpreis auf gleichem Niveau liegt und Investitionen bei sonst gleichen Bedingungen genauso wirtschaftlich wären.

Ein weiteres Problem ist die Raffineriekapazität. Die stieg unter Obama und Trump um fast zehn Prozent – unter Biden fiel sie. Chevron-Chef Mike Wirth warnte im Juni, daß seit 1976 keine große Raffinerie in Nordamerika mehr gebaut wurde – es fehle an Planungssicherheit. Wenn der Verkehr elektrifiziert werde, wäre das ein Verlustgeschäft. „Ihre Regierung hat unsere Industrie im wesentlichen kritisiert, teilweise verteufelt. Dies hilft nicht, die Herausforderungen zu meistern, und es ist nicht, was die Amerikaner verdienen“, schrieb Wirth an Biden.

Die Energiesicherheit in Europa ist extrem gefährdet

Der Öl-Lobbyverband API legte mit einem Zehnpunkteplan nach: Biden müsse „grüne“ Beschränkungen rückgängig machen. Doch Biden versuchte stattdessen vergeblich, Öl aus Venezuela zu importieren und Saudi-Arabien zu einer Förderausweitung zu überreden. Und der US-Präsident antwortete mit einem trotzigen Brief an Exxon, Chevron, BP, Shell, Phillips 66, Marathon und Valero: Die US-Ölfirmen sollten gefälligst ihre Förderung ausbauen. „Viele Faktoren vor meiner Amtsübernahme“ hätten die Raffineriekapazitäten verringert. Putins Krieg habe den Ölpreis steigen lassen – nicht seine grüne Politik sei schuld.

Eine ganze Seite widmet Exxon bei der Präsentation seiner Rekordgewinne auch dem Thema Europa: Steuern verhinderten Investitionen und „könnten die Energiesicherheit der Region unterminieren“. Die Öl- und Gasproduktion gehe zurück, auch Raffineriekapazität sei seit 2018 gesunken. Langfristige Auswirkungen der EU-Energiepolitik wären „sinkende lokale Investitionen, sinkende Wettbewerbsfähigkeit der örtlichen Raffinerien, mehr Importe, höhere Verbraucherpreise für Energie, schlechtere Energiesicherheit“. Seit 152 Jahren gibt es Exxon, auf der ganzen Welt fördert und raffiniert der Konzern. Kaum jemand kennt den Energiemarkt ähnlich gut. Man sollte die Warnung aus Texas ernst nehmen.

Exxon Mobil Corporation – Quartalszahlen: corporate.exxonmobil.com