© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/22 / 11. November 2022

Lesen öffnet geistig weite Horizonte, macht aber kurzsichtig
Der Preis der Bildung
(wm)

Wenn manche Menschen gebildeter sind und über umfassenderes Wissen verfügen als andere, haben sie dafür einen relativ hohen Preis gezahlt. Denn Lesen macht kurzsichtig. So pointiert ist eine Studie der Professoren Norbert Pfeiffer und Alireza Mirshahi von der Uni-Augenklinik in Mainz zu deuten. Die Forscher liefern darin klare Belege dafür, daß Menschen mit einer längeren Schul- und Studienzeit und einem daraus resultierenden höheren Bildungsgrad signifikant häufiger und ausgeprägter kurzsichtig sind als weniger „Belesene“. Untersucht wurde die Sehstärke von 4.658 Menschen im Alter von 35 bis 74 Jahren. Dabei erwies sich mehr als Hälfte der Hochschulabsolventen als kurzsichtig, während bei den Probanden ohne höhere Schulbildung nur jeder vierte von der Sehschwäche betroffen war. Ursache für den Defekt sei die häufige, stundenlange Naharbeit, die den Alltag der meisten Studenten bestimme. Für den Tübinger Augenheilkundler Frank Schaeffel läßt sich der Effekt sogar quantifizieren: „Jedes zusätzliche Ausbildungsjahr macht im Mittel eine halbe Dioptrie mehr aus.“ Auffällig sei, daß in den vergangenen Jahrzehnten die Zahl der Kurzsichtigen insgesamt massiv angestiegen ist. In den Industrienationen sei weltweit mindestens ein Drittel der Bevölkerung auf Brille, Kontaktlinse oder Augenlasern angewiesen. Mit genetischen Faktoren lasse sich das nicht erklären, vielmehr würden Umwelteinflüsse die entscheidende Rolle spielen. Zur Vorbeugung empfehlen Pfeiffer und Mirshahi Viellesern, den Blick alle 30 Minuten ins Weite schweifen zu lassen (Bild der Wissenschaft, 10/2022). 


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