© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/22 / 11. November 2022

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Gibt es akademische Freiheit überhaupt noch?

STANFORD. Das Ziel der versammelten Gäste war hochgesteckt: Sie wollten „die offene Debatte wiederherstellen, die für das Gedeihen neuen Wissens erforderlich ist“, lautete das Motto auf der offiziellen Einladung. Und so versammelten sich am vergangenen Wochenende an der Stanford-Universität in Kalifornien mehr als 150 Professoren, Dozenten, Autoren und Journalisten, um über den derzeitigen Zustand der akademischen Freiheit zu sprechen. Die Liste der Redner war dabei hochkarätig: Zu den geladenen Gästen gehörten beispielsweise der Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson, der Autor Douglas Murray, die Psychologen Jordan Peterson und Jonathan Haidt, der Epidemiologe John Ioannidis, der Politologe und JF-Autor Eric Kaufmann sowie der Investor Peter Thiel. An der Organisation der „Academic Freedom Conference“ hatte sich auch der deutsche Ökonom Harald Uhlig beteiligt, der eine Professur an der Universität Chicago innehat. Die Organisatoren standen dabei unter heftigem Druck: Zunächst war Kritik an der Entscheidung laut geworden, keine Medien zuzulassen und die Veranstaltung lediglich per Livestream öffentlich zu übertragen. Einige Fakultäten und zahlreiche Studenten der Stanford-Universität hatten die Hochschule zudem aufgefordert, sich von der Veranstaltung und „umstrittenen Persönlichkeiten“ wie Jordan Peterson zu distanzieren. Daß die Cancel Culture mittlerweile überall lauert, bewies auch die Eingangsfrage eines Moderators. Auf die Frage, wer von den mehr als 150 Teilnehmern schon einmal gecancelt worden sei, hob eine Mehrheit der Teilnehmer die Hand. In zahlreichen Podiumsdiskussionen wurde anschließend dargelegt, wie sich der Meinungskorridor an den Universitäten in den vergangenen Jahren weiter verengt hat. Die zentrale Erkenntnis der Panels: Nicht mehr nur die Geisteswissenschaften seien von der „woken“ Ideologie überrannt worden. Mittlerweile wirke sich die autoritäre Denkweise auch auf naturwissenschaftliche oder juristische Fachbereiche aus. Als Evolutionsbiologin sei sie es gewohnt, „daß versucht wird, Forschung zu zensieren und Wissen zu unterdrücken“, erklärte etwa die Biologin Luana Maroja, Professorin am Williams College. Früher hätten sie Kreationisten unter Druck gesetzt, „jetzt kommt die Bedrohung hauptsächlich von links“. Das zensorische, ängstliche Klima wirke sich auf den Inhalt der Lehre aus. Ob bei Pflanzen oder auch Menschen – die Biologie basiere nun mal auf einem „vollständigen Binärsystem“. Mittlerweile aber mache sich die Irrlehre breit, daß die Geschlechter auf einem Kontinuum liegen würden und beliebig seien. Die Gefahr bestehe darin, „daß die Wissenschaft selbst zu einer Erweiterung der Ideologie wird und nicht mehr auf der Suche nach Wissen und Wahrheit ist“. Ähnliches berichtete auch der Jura-Professor Michael McConnell von der Stanford Law School: Es gebe keine Möglichkeit mehr, über wichtige Nuancen etwa bei der Zustimmung zum Sex zu lehren, von der viele Fälle sexueller Übergriffe abhingen, „ohne daß die Leute selbstgerecht empört sind“. Viele Dozenten würden den einfachen Weg beschreiten: „Laßt uns das vermeiden. Reden wir lieber über Veruntreuung bei Banken.“ Symbolisch hielten die Organisatoren bei der Konferenz einen Stuhl für Mike Adams frei. Der konservative Professor für Kriminologie an der Universität von North Carolina hatte sich 2020 das Leben genommen. Seine Universität hatte ihm nach einer öffentlichen Schmutzkampagne die Lehrtätigkeit entzogen. 20 Tage später wurde er tot aufgefunden. (ha)

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