© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/22 / 11. November 2022

Großer Knall zum Abschied
Tom Buhrow schlägt eine Fusion von ARD und ZDF vor und gerät prompt in die Kritik
Gil Barkei

Es war nur eine Frage der Zeit, bis es beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) lauter knallt. Die zunehmenden Skandale in den Anstalten, nicht enden wollende Negativschlagzeilen und gekippte Zustimmungswerte in der Bevölkerung ließen dem WDR-Intendanten und – nach der Entlassung von Patricia Schlesinger – auch Interimsvorsitzenden der ARD, Tom Buhrow, kaum mehr Spielraum, sich nicht deutlich zu äußern. Daß er dann gleich das Tabuthema einer Fusion von ARD und ZDF ins Spiel bringt, ist vielleicht dem Umstand geschuldet, daß der 64jährige kommendes Jahr von SWR-Intendant Kai Gniffke beerbt wird. Die massiven Einwände aus Politik und Sendern zeigen wiederum klar: ARD und ZDF sind noch meilenweit von derart tiefgreifenden Reformen entfernt.

Alles begann mit einer Rede, die Buhrow anläßlich der Hundertjahrfeier des Hamburger Übersee-Clubs hielt – als Privatmann und nicht als ARD-Chef, wie er betonte. „Wir brauchen einen runden Tisch in Deutschland, der die großen, grundsätzlichen Fragen beantwortet und befriedet für eine lange Zeit. Wir brauchen einen Generationenvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk“, bereitete der Medienfunktionär seine Zuhörer vor, zu denen NDR-Intendant Jochen Knuth gehörte. Um dann die Bombe platzen zu lassen: „Will Deutschland weiter parallel zwei bundesweite, lineare Fernsehsender? Wenn nicht: Was heißt das? Ich glaube, daß es im Jahr 2030 eine einzige große, öffentlich-rechtliche Mediathek für non-lineare Inhalte geben wird.“ Nur so sei man als ÖRR dazu in der Lage, „Netflix und Co. die Stirn bieten“ zu können.

Damit nicht genug. Auch bei den Kulturensembles in ÖRR-Trägerschaft soll der Rotstift regieren: „Die ARD unterhält insgesamt 16 Ensembles: Orchester, Big Bands, Chöre. Etwa 2.000 Menschen, fast alle fest angestellt. Obwohl die zu den Besten ihrer Zunft gehören – wir können auch hier der Frage nicht ausweichen: Wollen die Beitragszahler das?“ Bei den „64 Hörfunkwellen allein in der ARD, plus die Wellen des Deutschlandradios“, fragte Buhrow ebenfalls: „Warum gibt es so viele?“

Unterstützung kommt sogar von Jan Böhmermann

Unterstützung kam von FDP, AfD und Teilen der CDU. „Volle Zustimmung, Tom Buhrow: Keine Tabus und keine Denkverbote bei der Reform der Öffentlich-Rechtlichen!“, twitterte Bundesfinanzminister Christian Lindner. Mit einem „Fokus auf den Kernauftrag des Rundfunks und fairen Wettbewerb mit den Privaten“ könne die „Legitimation des ÖRR“ wieder gestärkt werden. Der medienpolitische Sprecher der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus, Ronald Gläser, lobte die Rede: „Tom Buhrow ist vermutlich der einzige namhafte Rundfunk-Bürokrat, der die Augen nicht davor verschließt, daß das Zeitalter der GEZ-Dinosaurier zu Ende geht. Er möchte retten, was zu retten ist.“ Alles im öffentlich-rechtlichen Rundfunk müsse nun auf den Prüfstand. „Deswegen brauchen wir einen Runden Tisch, der einen 10-Jahres-Plan entwickelt, wie Tom Buhrow ihn skizziert.“ Einen solchen „Konvent“ solle der Bundespräsident einberufen, schlug der Chef der CDU-Fraktion in Brandenburg, Jan Redmann, vor.

Daß es Buhrow nicht nur um eine zugespitzte Rede am Rand der Öffentlichkeit ging, bewies er mit einem Gastbeitrag in der FAZ, mit dem er seine Aussagen flankierte. „Wir müssen die große Reform wagen, jetzt,“ fordert er darin, genauso wie eine „tabulose Richtungsdebatte“ und einen „Neuanfang ohne Denkverbote“. Man müsse „aus dem bisherigen System ausbrechen“.

Selbst Rundfunkbeitrag-Moderator Jan Böhmermann nahm sich nun des Themas an – nicht ohne Seitenhiebe auf die AfD und den Quoten-Rivalen ARD. In seiner Sendung „ZDF Magazin Royal“ bemängelte er horrende Zahlungen für die Senderspitzen, falsche Geldverteilung, schlechte Arbeitsbedingungen von freien Mitarbeitern sowie veraltete Strukturen und mahnte zu Reformen. Er könne die „Systemerhaltungs-Reflexe“ nicht mehr ertragen.

Doch wer jetzt meint, damit sei endgültig der Stein der großen Veränderungen ins Rollen gebracht worden, dem wurden schnell die stocksteifen Strukturen des ÖRR-Apparats in Erinnerung gerufen. Nachdem der erste Schock bei den Garanten des Zwangsabgabesystems und möglichen Verlierern einer Revolution überwunden war, gingen sie zum Gegenangriff über. „Alleingänge einzelner Vertreter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die als Pri­vatmeinung bezeichnet werden, erlebe ich als wenig konstruktiv“, wetterte die rheinland-pfälzische Medienstaatssekretärin und Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder Heike Raab (SPD) in der FAZ. Sie pocht auf die Hoheit der Bundesländer und den von allen Ministerpräsidenten kürzlich unterzeichneten neuen Medienstaatsvertrag. Die Neuerungen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in die Lage versetzten, „die digitale Transformation ihrer Angebote anzugehen und die Gremien zu stärken“, würden bei ZDF und Deutschlandradio „schon längst umgesetzt“. 

Dementsprechend knapp konterte auch ZDF-Intendant Norbert Himmler: Er teile die „pauschale Skepsis des ARD-Vorsitzenden in bezug auf die Reformfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ nicht. Eine Zusammenlegung lehnt er ab: „Ich finde es wichtig, daß wir auch im publizistischen Wettbewerb sind.“ Das ZDF sei mit „drei linearen Kanälen vergleichsweise schlank aufgestellt“ und habe insbesondere im Digitalbereich bewiesen, „daß wir erfolgreiche Reformen durchsetzen können“. 100 Millionen Euro wolle man vom linearen Programm in den Ausbau der Online-Angebote „umschichten“. Sparmaßnahmen, Kürzungen? Nein, Umschichtungen ist also die Zauberformel für die Zukunft.

So diplomatisch wie gewohnt unkonkret weiterwurstelnd ist dann auch die Einlassung von Buhrow-Nachfolger Gniffke. Er nehme die Worte seines Vorgängers „als Ansporn, mutig zu sein und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zukunftsfest zu machen“.