© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/22 / 18. November 2022

Absage an Gender-Sprech
Phantasie für neue Mehrheiten
Dieter Stein

In Thüringen faßte der Landtag in der vergangenen Woche auf Antrag der CDU einen verblüffenden Beschluß „Gendern? Nein danke!“ Danach werden Landtagspräsidium und Landesregierung aufgefordert, dafür zu sorgen, daß keine „sogenannte Gendersprache“ in ihrem Schriftverkehr und Veröffentlichungen verwendet wird, sondern die gültigen Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung befolgt werden. Ferner soll die Landesregierung dafür auch an Hochschulen und beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk sorgen. 

Wie kam dieser Beschluß zustande? Dank einer vorhandenen Mehrheit aus CDU, AfD und Unabhängigen. Grünen-Politiker sehen bereits eine „Salonfähigkeit der AfD-Faschisten“, die „Brandmauer gegen rechts“ sei angezündet. Doch die Aufregung hält sich – noch – in Grenzen. Vielleicht wäre sie größer, wenn die Bundespolitik nicht gerade von mehreren Großkrisen in Atem gehalten würde. Nebenbei ist es nicht der erste Beschluß, der im Erfurter Landtag mit nichtlinker Mehrheit zustande kam. Es gab bereits einen zur Befürwortung der Kernenergie, einen anderen zum Verbot von Windkraftanlagen in Thüringer Wäldern. 

Bislang hat sich die CDU stets gescheut, den linken Kulturkampf aufzunehmen. Ändert sich das jetzt?

Der Beschluß zur Gendersprache hat ein anderes Potential, denn er berührt einen seit Jahren schleichend und an demokratischen Gremien vorbei betriebenen Kulturkampf. Mit dem Thüringer Beschluß wird explizit die Machtfrage gestellt. Bislang hat sich die Union stets gescheut, diesen Kampf aufzunehmen. Sie hat sich im Gegenteil unter der Ägide von Angela Merkel im Rahmen einer „asymmetrischen Demobilisierung“ permanent linken Agenden unterworfen.

Ändert sich das jetzt? Noch Ende 2021 hatte Merkels Nachfolger Friedrich Merz gewarnt: „Wenn irgend jemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Ausschlußverfahren an.“ Was war das dann in Thüringen? Ex-CDU-Landeschef Mike Mohring hat gerade explizit gefordert, die parlamentarische Ausgrenzung der AfD zu beenden. Wenn die CDU dies nicht wenigstens auf kommunaler und Landesebene schrittweise versucht, begibt sie sich in dauerhafte Geiselhaft von Grünen und SPD.

Mit dem Gender-Beschluß wird Phantasie frei, was es bedeutete, langfristig gestaltende Mehrheiten in Deutschland entstehen zu lassen, die tragfähig für eine andere Politik werden. Daß solche Mehrheiten mit Ansätzen einer „disruptiven Rechten“ jedoch nicht nachhaltig zustande kommen, dazu senden die Zwischenwahlen in den USA mit den Niederlagen von Trump-Kandidaten übrigens ein bedenkenswertes Warnsignal.