© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/22 / 18. November 2022

Ländersache: Thüringen
Luthern statt gendern
Paul Leonhard

In den öffentlichen Einrichtungen Thüringens soll es auch künftig „eine klare und verständliche deutsche Sprache“ geben – wie es seit Luthers Zeiten Sitte ist. Mit dieser Forderung hat sich die CDU-Opposition im Erfurter Landtag knapp gegen die Abgeordneten der regierenden rot-rot-grünen Minderheitsregierung durchgesetzt. 38 der anwesenden 74 Parlamentarier stimmten für den Antrag „Gendern? Nein danke!“, 36 dagegen. Mit diesem Beschluß appelliert der Landtag lediglich an seine eigene Verwaltung und die Ministerien sowie die nachgeordneten Einrichtungen, auf die von der Mehrheit der Thüringer abgelehnte Gendersprache zu verzichten. Für den Schriftverkehr der Behörden wird die Verwendung des generischen Maskulinums empfohlen.

Allerdings gilt weiterhin die im Gleichstellungsgesetz des Freistaates verankerte Pflicht, „soweit wie möglich geschlechtsneutrale Bezeichnungen zu wählen“. Das aber sei nicht nur, wie CDU-Vizefraktionschef Christoph Zippe meint, ein „Elitenprojekt einer kleinen Minderheit“, sondern vor allem eines: ausländerfeindlich. Ausgegrenzt werden auch Menschen mit Behinderungen. Barrierefreiheit und gendergerechte Sprache seien „tatsächlich kompliziert und schwer zu vereinbaren“, weiß Daniel Baumbach, Sprecher der Stadt Erfurt.

Bei der Bildungsgewerkschaft GEW sieht man das gänzlich anders. Die Union bleibe ihrer „reaktionären Tradition“ treu, und der Landtagsbeschluß sei „ein Schlag ins Gesicht gegen alle, die sich bemühen, inklusiv zu handeln und auch sprachlich niemanden auszugrenzen“, so GEW-Landesvize Thomas Hoffmann. Gerade diverse Menschen würden sich durch den alten Sprachgebrauch oft nicht wahrgenommen fühlen, sagt Thüringens Gleichstellungsbeauftragte Gabi Ohler. Ohne sagen zu können, wie viele es davon im Freistaat gibt, empfiehlt sie neutrale Formulierungen in Kombination mit dem Gender-Doppelpunkt.

Und der Linkspartei, der es traditionell schwerfällt, Niederlagen anzuerkennen, wirft der CDU nicht nur „Stimmungsmache“ und das Betreiben eines „rechten Kulturkampfes“ vor, so der Abgeordnete Christian Schaft, sondern kündigt namens des Staatskanzleiministers Benjamin-Immanuel Hoff auch anhaltenden Widerstand an. Die Landesregierung habe sich an Gleichstellungsgesetze oder die Rechtsprechung zu halten und mit der geschlechtergerechten Sprache sei es wie mit der Frauenquote: „Sie muß erkämpft werden.“

„Was bei den drei linken Parteien in Thüringen, aber auch im Bund, tatsächlich für Panik sorgt, ist, daß die CDU bei ihrem Antrag auf die Stimmen der AfD und der Bürger für Thüringen setzte und damit die von CDU-Bundeschef Friedrich Merz zugesagte Brandmauer nach rechts ins Wanken geraten sein könnte. Während Mike Mohring die AfD in die politische Verantwortung nehmen will, bezeichnet sie sein Nachfolger als CDU-Fraktionschef, Mario Voigt, zwar weiterhin als rechtsextremistische Partei, betont aber auch: „Wer aus Furcht die eigenen Überzeugungen aufgibt, der verleiht den Extremisten eine Macht über die Themen, eine Deutungshoheit über Debatten und schließlich über die parlamentarische Demokratie selbst.“