© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/22 / 18. November 2022

Komm, Zeitgeist, heile uns
Evangelisch I: Im Parlament der Kirche gibt’s Lob für Straßenblockaden – und ein Tempolimit für Pastoren
Gernot facius

Das hat es schon etwas länger nicht mehr gegeben: Eine Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) provoziert Kommentare wie „verstörend, erschreckend und parteipolitisch einseitig“ – und die kommen aus den eigenen Reihen. Die Ergebnisse der jüngst zu Ende gegangenen Magdeburger Tagung des Kirchenparlaments wurden vor allem von konservativ geprägten Protestanten mit Kopfschütteln registriert. 

Daß eine Vertreterin des linksradikalen Aktionsbündnisses „Letzte Generation“ zu Wort kommen konnte und viel Applaus erhielt, habe an der Basis der Landeskirchen zu Fassungslosigkeit geführt, schrieb Pfarrer David Brunner aus der Badischen Landeskirche in einem offenen Brief an die Präses der Synode, Anna-Nicole Heinrich. Die meisten seiner Amtskollegen hätten nicht im entferntesten etwas mit Linksradikalismus zu tun: „Nun müssen sie aber für den Schaden geradestehen, den Sie als Synode angerichtet haben.“ Sollte eine Entschuldigung ausbleiben, so wäre das ein Zeichen, „daß linksradikale Ideen, Äußerungen und Handlungen salonfähig werden dürfen in der EKD“. 

Heinrich hatte Straßenblockaden als „in unseren Augen berechtigter gewaltloser ziviler Ungehorsam“, bezeichnet, „denn er greift nicht die freiheitliche Grundordnung an, und in diesem Rahmen ist er akzeptierbar“. Dieses Statement war nicht der einzige Anlaß für massive Kritik am Kurs der Präses. Auch die Positionierung beim Thema Klimaschutz stieß auf Unverständnis. Die Synodalen beschlossen, daß bei allen Autofahrten im kirchlichen Zusammenhang ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen und 80 auf Landstraßen einzuhalten sei, um Treibhausgas-Emissionen spürbar zu verringern. Außerdem wurden politische Bemühungen um ein zeitnahes allgemeines Tempolimit von höchstens 120 Stundenkilometern unterstützt.

„Manchmal verstehe ich meine Kirche nicht mehr“, schrieb Pröbstin Sabine Kropf-Brandau aus der Landeskirche Kurhessen-Waldeck in einer persönlichen Erklärung, die sie per Twitter verbreitete. Den Beschluß könne sie weder mittragen, noch wolle sie ihn umsetzen, kündigte die Theologin an. Die Forderung nach dem Tempolimit sei „Ausdruck einer Gesinnungsmoral“ und gebe all jenen recht, die behaupteten, Christen seien naiv und nicht von dieser Welt. Noch härter ging die Pröbstin mit der Solidaritätsadresse an die radikalen Klima-Protestler ins Gericht: Das sei der „verzweifelte Versuch“, sich an eine Bewegung anzubiedern, die ein „legitimes Ziel mit Mitteln durchzusetzen versucht, die ich in keiner Weise teile und die ich für gefährlich halte“.  

Mit ihren Entscheidungen sei die EKD dabei, sich selber abzuschaffen, kommentierte Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt. Viele Menschen hätten Fragen nach dem Sinn des Lebens. Aber die evangelische Kirche habe „null Komma null“ dazu anzubieten, sie plappere stattdessen nach, was bei den Grünen als Zeitgeistthemen referiert werde. Auch der frühere Parlamentskorrespondent der Bild, Ralf Schuler, kritisierte, die EKD mutiere zum „politischen Verkehrsclub“, der sich nicht entblöde, „konkrete Tempo-Angaben für die braven Schäflein mitzuliefern“. Es sei nicht bekannt, daß etwa Lebensschützer, die sich gegen die Abtreibung von Embryos engagierten, jemals so von der EKD empfangen wurden wie die Vertreterin der „Letzten Generation“, schrieb Schuler: Es sei „selbst oder gerade für tiefgläubige Christen (wie mich) an der Zeit nachzudenken, ob man der GmbH Kirche nicht doch mal den Dauerauftrag für Propaganda statt Predigt zu kündigen und ihre Dienstkarossen auf Tempo Null zu setzen“. 

Unterdessen haben christdemokratische Politiker eine Petition gegen gegen Präses Heinrich wegen deren Position zu Straßenblockaden angekündigt. Dadurch könne der Kirche ein unermeßlicher Schaden entstehen; denn Protestformen, die Gewalt gegen Menschen oder Sachen ausübten, seien nicht legitim, schrieben die Mitglieder des Evangelischen Arbeitskreises (EAK) in der CDU. 

Die EKD-Synode tat sich in Magdeburg zudem schwer, zu einer einheitlichen Meinung darüber zu finden, „welche konkreten Mittel zur Unterstützung der Ukraine geeignet und ethisch gerechtfertigt sind“ (Heinrich). Ein einstimmig verabschiedeter Beschluß faßte vielmehr wichtige Positionen zusammen. Solidarität mit den Opfern des Krieges ja, aber dann gingen die Meinungen auseinander. Die Präses bemühte sich, dem Ganzen einen diplomatischen Anstrich zu geben: „Es ist gut, wenn die Kirchen einen Raum bieten, um über solche Fragen offen und in gegenseitigem Respekt zu sprechen. Uns eint dabei das Bewußtsein, daß dieser Krieg so schnell wie möglich beendet werden muß. Am Ende müssen Verhandlungen stehen, die einen Rückzug der russischen Truppen und die Wiederherstellung der Souveränität der Ukraine zum Ziel haben.“ Nur so könne deutlich gemacht werden, daß militärische Aggression und imperiale Ansprüche nicht belohnt werden. „Krieg kennt nur Verlierer. Gewonnen werden kann nur ein gerechter Friede“. 

Streit über Waffenlieferungen wird die Kirche weiter beschäftigen

Eindeutig gegen Waffenlieferungen hatte sich der Magdeburger Bischof Friedrich Kramer schon vor Synodenbeginn positioniert. „Wenn du plötzlich in einer Hurra-Kriegsstimmung bist, bist du nicht mehr im Kontext kirchlicher Friedensethik“, hatte Kramer, Friedensbeauftragter der EKD, in einem Interview erklärt. Daß Moskau einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, will auch er nicht in Abrede stellen, doch fragte er auch nach den Konsequenzen jenseits militärischer Logik. Kramer empfiehlt diplomatische Initiativen, etwa im UN-Sicherheitsrat.  

Daß derzeit so gut wie gar nicht über eine Zeit nach dem Ukrainekrieg geredet werde, ist aus Sicht des EKD-Friedensbeauftragten auch ein Zeichen falscher Prioritäten. Er führt das unter anderem darauf zurück, daß die Generation, die in Europa den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, allmählich ausstirbt. Die große Mahnung „Nie wieder Krieg“, die sich über dem Trümmerfeldern Europas erhob, scheine inzwischen an Strahlkraft verloren zu haben. „Sieg ist kein Frieden“ (Kramer). 

Der Streit in der EKD über das Thema Waffenlieferungen an die Ukraine, soviel steht nach der Magdeburger Synode fest, wird weitergehen. Und er wird neue Spannungen in die Kirche tragen.  

Foto: Leere Reihen in einer evangelischen Kirche: Zeichen falscher Prioritäten?