© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/22 / 18. November 2022

Polarisiert bis in die Ewigkeit
USA: Die Republikaner können von der Unbeliebtheit von Präsident Joe Biden nicht profitieren
Jörg Sobolewski

Hier, in der Kneipe „Knotty Pine“ in Front Royal im nördlichen Virginia, etwa 100 Kilometer außerhalb von Washington scheint die republikanische Welt noch in Ordnung. Aus den Lautsprechern klingt Countrymusik, die Wand hinter dem Tresen ist mit Aufklebern verziert, die in großen Lettern den ehemaligen Präsidenten Donald Trump feiern. Daneben findet sich allerlei sentimentaler Südstaatenkitsch. Unumstrittene Herrscherin hinter dem Tresen ist Victoria, eine robuste Frau irgendwo zwischen Ende Fünfzig und Anfang Siebzig. Sie hat ganz klare Ansichten: „Die Demokraten liefern unser Land an unsere Feinde aus!“ Heftiges Nicken unter allen Anwesenden. Auch Kenny, der übergangsweise hinter dem Tresen eingesprungen ist und in seiner Freizeit Gitarre in einer Countryband spielt, pflichtet ihr bei: „Dieses Land geht vor die Hunde.“ „Divided States of America“ nennt er sein Land, und man nimmt ihm seine Ratlosigkeit ab, wenn er darauf hinweist, daß sich die meisten Amerikaner nicht einmal mehr auf die Farbe des Himmels einigen könnten.

Joe Biden erwägt erneute Präsidentschaftskandidatur

Tatsächlich dürfte diese These der unversöhnlichen Polarisierung auch in den Kneipen und Cafés der Hauptstadt Unterstützung finden. Hier findet sich kaum ein Fenster ohne Regenbohnenfahne oder „Black Lives Matter“-Sticker. Das Straßenbild am Dupont Circle, einer beliebten Gegend voller Cafés und Kneipen, ist so völlig anders als im ländlichen Front Royal. Männer in Röcken und Schminke im Gesicht flanieren neben Frauen in weiten Jogginghosen über den Wochenmarkt, vorbei an veganen Wurstständen und schwarzen Obdachlosen. 

Ein etwas älterer Mann in Uniform der US-Air Force trägt zum Kampfanzug hellroten Lippenstift und Perlenohringe, angeregt unterhält er sich mit einer Verkäuferin von Bio-Gemüse über das ungewöhnlich warme Wetter in diesem Jahr. Der Klimawandel sei die größte Gefahr für die Welt, jetzt wo die Midterm Elections für die Demokraten glimpflich ausgegangen seien. Später bei einem Kaffee an einem der Stände ergibt sich die Gelegenheit für einen kurzen Austausch mit „Lucy“, wie er sich nennt. Wie er seine berufliche Tätigkeit in den Streitkräften mit seiner eindeutigen politischen Ausrichtung verbinden könne? 

Die US Army, so sagt er, sei „eine Kraft für das Gute in der Welt.“ Natürlich gebe es Kameraden, die das anders sehen würden, aber „ein Umdenken findet langsam statt.“ Es sind Beispiele wie diese, die Kenny anführt, wenn er sagt: „Unsere Institutionen sind zu unseren Feinden geworden.“ Die woke Ideologie, der weite Teile der Demokraten angehören, ist zwar unverändert ein mehrheitlich urbanes Phänomen, aber sie beginnt sich durch alle Institutionen zu ziehen. 

Am Abend nach den Midterm Elections zeigt sich erneut, wie stark die US-amerikanische Gesellschaft polarisiert ist. Die Republikaner konnten die Fläche für sich gewinnen – die Bevölkerungszentren bleiben in der Hand der Demokraten.

Am stärksten unter der Polarisierung leidet die weiße Bevölkerungsstruktur. Läßt sich noch eine relativ geschlossene Wahlpräferenz der Afroamerikaner oder Latinos feststellen, zerfällt die weiße Bevölkerung in unzählige soziale und sexuelle Minderheiten. Während es den Demokraten im urbanen Milieu oft gelingt, aus verschiedenen Minderheiten eine Stimmenmehrheit zu konstruieren, scheitern die Republikaner oft an der Herausforderung. 

Unverändert stark sind sie dort, wo auf dem Land ein konservatives, weißes Bürgertum und eine oft noch weitaus konservativere untere Mittelschicht die Mehrheit stellen. Auf der Landkarte sind weite Teile der Vereinigten Staaten tiefrot in der Farbe der Republikaner eingefärbt. Hier erringen republikanische Politiker unverändert ihre Mandate. Aber diese Gegenden sind oft dünn besiedelt; es sind die urbanen Zentren, in denen bis auf einige Ausnahmen die Republikaner keine Stiche machen können. 

Eine der Ausnahmen in diesen Midterm Elections ist Florida. Hier konnte der republikanische Senator Marco Rubio einen deutlichen Erfolg erzielen. Der einstige Swing State Florida ist zu einer sicheren Machtbasis der Republikaner geworden. Selbst in den urbanen Ballungsräumen hat oft eine Mehrheit rechts gewählt. Das liegt auch daran, daß der Gouverneur des Landes, Ron DeSantis, massiv um die Stimmen der Latinos geworben hat. Die sogenannte „Latino Vote“ hat die Republikaner in Florida mit einem komfortablen Abstand über die Ziellinie getragen, sehr zum Ärger des liberalen Fernsehsenders CNN, der nicht zu Unrecht darauf hinweist, daß in den meisten Landesteilen die Latino Vote unverändert an die demokratische Konkurrenz gegangen ist. 

Eine Hausmacht, auf die auch US-Präsident Biden setzt. In seiner Ansprache nach den Wahlen zeigt sich der Amtsinhaber sichtlich erleichtert. Ungeachtet seines fortgeschrittenen Alters setzt er auf seine integrative Fähigkeit. Trotz niedriger Umfragewerte erwägt der Amtsinhaber eine erneute Kandidatur für 2024, von vielen in seiner Partei wird er darin unterstützt. 

Seine ehemalige Rivalin, die Parteilinke Elizabeth Warren, verkündete bereits kurz nach den ersten Ergebnissen, „dieser Sieg“ gehöre Biden. Daß der angebliche Sieg des Präsidenten vor allem darin besteht, in den Wahlen nur weniger Sitze als befürchtet verloren zu haben, bleibt davon unberührt. Denn weiterhin gehört Biden zu den eher ungeliebten Präsidenten der Geschichte, lediglich 44 Prozent der Amerikaner sehen ihn gern im Amt. Dennoch können die Republikaner davon allein nicht profitieren.

Denn sie  haben nicht nur mit ihrer begrenzten Anziehungskraft auf Minderheiten zu kämpfen, sondern auch mit internem Streit. Besonders zwischen Ron DeSantis und dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump kriselt es. Letzterer wirft dem erfolgreichen DeSantis vor, nur dank seiner Vorarbeit seine guten Ergebnisse in Florida erzielt zu haben. 

Tatsächlich macht sich unter Republikanern, die dem ehemaligen Immobilienmogul Trump nahestehen, Skepsis an dem einstigen Hoffnungsträger bemerkbar. Vielen agiert der Populist mittlerweile zu sprunghaft und unberechenbar. Im Wahlkampf machte DeSantis vor allem durch eine Verschickung illegaler Einwanderer auf sich aufmerksam. In seinem Land angekommene Illegale ließ DeSantis in demokratische Bundesstaaten im Norden schicken. Im reichen Martha’s Vineyard, einem beliebten Refugium der Elite der Demokraten, sorgte bereits die Ankunft von fünfzig Migranten für helle Aufregung. Dabei ist DeSantis im politischen Alltagsgeschäft deutlich ruhiger als der mitunter zu Ausbrüchen neigende Trump. 

Selbstzerstörische Dynamik bei den Republikanern

Dies ist mit ein Grund für große Teile der Republikaner, ihre Hoffnung in den populären Gouverneur zu setzen. Mit ihm ließen sich auch unter bürgerlichen, aber unentschlossenen Wählern Mehrheiten erzielen. Die größte Unbekannte in dieser Rechnung könnte aber Trumps Rachsucht sein. So kündigte er kryptisch an, gegen DeSantis „viele schmutzige Dinge“ in der Hand zu haben. Damit könnte sich der schwelende Streit zwischen Trumpisten und dem Parteiestablishment weiter zuspitzen. 

Eine Sorge, die vor allem den Parteinachwuchs umtreibt. Nathan Berger, stellvertretender Vorsitzender der New York Young Republicans formuliert es so: „interne Streitereien zwischen Trumpanhängern und dem Parteiestablishment sorgen weiterhin dafür, daß in Gegenden, die wir gewinnen können, mitunter weniger Geld für den Wahlkampf ausgegeben wird als in Gegenden, die wir nicht gewinnen können. Der Bruch, der sich durch die Partei zieht, hat eine selbstzerstörerische Dynamik angenommen.“

 Meinungsbeitrag Seite 2