© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/22 / 18. November 2022

Grüße aus … Las Vegas
Ein Axe-Deo kostet 12 Dollar
Marc Zoellner

Am Wahltag regnet es selbst in der Wüste. Tiefe Pfützen bedecken den Boden der Fremont Street, eines der lautesten und aufregendsten Viertel von Las Vegas, Amerikas unangefochtenem Mekka der Glücksspielindustrie. Selbst die Rockmusiker auf der Open-Air-Bühne müssen kurzzeitig, vom seltenen Niederschlag jedoch hellauf begeistert, unter den Regenschirm fliehen. Unweit der Masse der Feiersüchtigen vergräbt sich ein Obdachloser in seine trocken gebliebene Ecke. Eine Bar wirbt mit Bier zum halben Preis für jeden, der seinen „Ich habe gewählt!“-Aufkleber vorweisen kann.

Nur allzu gern hätten die linksliberalen Medien in den USA die landesweiten Abtreibungsrechte als wichtigstes Wahlkampf-thema auf die Agenda gesetzt, um den befürchteten Erdrutschsieg der Republikaner am Ende noch rasch zu verhindern. In Wahlspots und Nachrichtenkommentaren wurde unermüdlich davor gewarnt, dieser oder jener Kandidat der „Grand Old Party“, sei „viel zu gefährlich und zu extrem“ für ein öffentliches Amt. 

In den Alltagsgesprächen spielt die große Politik in Washington nur eine untergeordnete Rolle. 

Was den Wähler schlußendlich an die Wahlurnen drängte, war die grassierende Inflation, wie selbst die linksliberale Wa-shington Post bestürzt bekennen mußte. Bei drastisch steigenden Preisen in Stadt und Land kein Wunder: Dank neunprozentiger Geldentwertung kostet ein Thunfischsandwich im Supermarkt mittlerweile sechs bis sieben Dollar, eine Dose Axe-Deo zwölf Dollar, und selbst das Benzin an der Tankstelle klettert im erdölreichen Staat die Preisleiter straff hinauf.

In Alltagsgesprächen spielt die große Politik in Washington nur eine untergeordnete Rolle. Eine zufällig angetroffene kinderreiche Familie aus North Dakota berichtet viel lieber aus ihrem spannenden Leben in der Prärie, wo derzeit ein Schneesturm über endlos flache Ebenen tobt. Der nächste Supermarkt sei 120 Kilometer von ihrem Heimatort Napoleon entfernt, erzählt die Mutter, doch zumindest habe die Gemeinde zwei gut florierende Bars. Neugierig fragt ihr blondgelockter kleiner Sohnemann, ob der Reichskanzler der deutschen Einheit ursprünglich aus der Hauptstadt North Dakotas stamme, nämlich aus dem gleichnamigen Bismarck. „Ah, deshalb heißt die Stadt so“, freut er sich über eine kurze Erklärung. „Meine Urgroßeltern stammen ja auch alle aus Deutschland.“ Deutsch würde nur noch von den älteren Generationen gesprochen, ergänzt sein Vater nachdenklich. Nach deutscher Tradition gekocht werde hingegen oft und gern. 

In North Dakota, dem einzigen US-Bundesstaat mit Deutsch als zweitmeist gesprochener Sprache, gelang den Republikanern übrigens tatsächlich ein Erdrutschsieg. Die Demokraten hingegen stürzten von 45 Prozent im Jahr 2018 auf ganze 25 Prozent in diesem Jahr ab.