© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/22 / 18. November 2022

Die Steuererhöhungsvorschläge des Sachverständigenrates gehen fehl
Weisheit im Zeitgeist
Ulrich van Suntum

Plötzlich ist er bei Linken und Grünen Mamas Liebling: Nachdem der Sachverständigenrat 58 Jahre die Fahne der Marktwirtschaft hochgehalten hat, fordert er in seinem Jahresgutachten 2022/23 erstmals höhere Steuern für Besserverdiener. Dabei entfallen schon heute etwa 80 Prozent des Aufkommens der Einkommensteuer auf nur 30 Prozent der Haushalte. Aber die „Wirtschaftsweisen“ rechnen vor, daß die Energiepreisspirale vor allem Geringverdiener trifft. Sie hätten zwar schon von den beiden Hilfspaketen profitiert, aber dies reiche nicht aus, um die Mehrbelastungen zu kompensieren. Unter dem Strich sei die Mehrbelastung der unteren Einkommensschichten mit drei Prozent höher als bei den einkommensstärksten Haushalten (1,3 Prozent).

Diese Berechnungen vernachlässigen, daß die Inflation wohl durch entsprechende Lohnerhöhungen ausgeglichen wird. Das künftige Bürgergeld paßt sich sogar per Gesetz automatisch an. Selbständige und Kleinunternehmer können dagegen davon nur träumen. Dabei sind sie nicht minder stark von der Strom- und Gaspreisexplosion betroffen. Zudem leidet die Mittelschicht unter der massiven Entwertung ihrer Sparguthaben, während Geringverdiener mangels Rücklagen damit kein Problem haben. Diese längerfristigen Aspekte werden im Gutachten jedoch ignoriert.

Noch fragwürdiger sind die steuerpolitischen Vorschläge. Bisher hatten die Ökonomen immer den Abbau der kalten Progression angemahnt. Damit ist die automatische Verschärfung der Steuerprogression durch die Inflation gemeint. Jetzt wollen die Weisen die Korrektur dieses unerwünschten Effekts „verschieben“, weil dies die Besserverdienenden zu stark entlaste. Damit machen sie sich die verquere Logik derer zu eigen, die schon die Verhinderung einer ungerechtfertigten Steuererhöhung in eine Bevorzugung der „Reichen“ umdeuten. Dabei kostet der Abbau der kalten Progression nur zwölf Milliarden Euro im Jahr 2023 bzw. 18 Milliarden 2024, wie der Rat selbst vorrechnet. Das sind knapp 16 Prozent der beiden Entlastungspakete von insgesamt 195 Milliarden Euro, für die er nun seine steuerpolitischen Grundsätze über Bord wirft.

Gänzlich abwegig ist der Vorschlag eines befristeten „Energie-Soli“ für Besserverdienende. Einzelheiten zu dieser Idee findet man im 459seitigen Gutachten nicht; die fünf Ratsmitglieder glauben wohl selbst nicht so ganz daran. Zu Recht, zumal der 1991 eingeführte und ursprünglich auf ein Jahr befristete Solidaritätszuschlag Ost nach 30 Jahren immer noch in Kraft ist. Letztlich würde damit die Steuerlast der Leistungsträger nochmals verschärft. Und das in einer Zeit existentieller Probleme bei vielen Gewerbetreibenden und Unternehmen, während der Staat wegen der Inflation im Geld geradezu schwimmt.

Dabei steht im Gutachten sogar drin, wie man es besser machen könnte. Das Mittel der Wahl wäre eine Einmalzahlung an alle Bürger wie bei der Gaspreisbremse. Damit würden alle Bürger entlastet, und eine Einbeziehung in das zu versteuernde Einkommen stellt auf einfache und gerechte Weise soziale Ausgewogenheit her. Leider hat die öffentliche Debatte von dieser Idee bisher keine Notiz genommen. Sie zieht stattdessen wieder den alten Ladenhüter einer Vermögensteuer aus dem Hut. Davon aber steht im Gutachten der Wirtschaftsweisen – noch – kein einziges Wort.






Prof. Dr. Ulrich van Suntum lehrte bis 2020 VWL an der Wilhelms-Universität Münster.