© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/22 / 18. November 2022

Milliardenverluste bei der insoventen Kryptobörse FTX
Riskantes Paralleluniversum
Thomas Kirchner

Es war Glück für die US-Demokraten, daß der Zusammenbruch der Kryptobörse FTX erst nach den Zwischenwahlen erfolgte. Denn deren Gründer Sam Bankman-Fried war ihr zweitgrößter Einzelspender nach George Soros. Dennoch überbieten sich nun führende Demokraten mit Forderungen nach Regulierung der Kryptoszene. Anders zu sein als das traditionelle Finanzsystem war der Traum der Kryptopropheten nach der Weltfinanzkrise.

Herausgekommen ist dabei ein Paralleluniversum, das dem verschmähten System fast eins zu eins entspricht, denn kaum jemand hat die technischen Kenntnisse, direkt an der Blockchain teilzunehmen. Deshalb eröffnet man ein Konto bei einer Börse, bei der man, wie bei einer Bank, Kredit bekommen kann, um zu spekulieren. Die Einlagen des einen werden zum Kredit an einen anderen. Doch während Banken in ihrer 500jährigen Geschichte den Umgang mit Bilanzen gelernt haben und Betrüger fernhalten, ist die bestenfalls schwach regulierte Kryptowelt da noch blauäugig. Neun Milliarden Dollar waren 2014 beim japanischen Bitcoin-Handelsplatz Mt.Gox gestohlen worden – und die Kette der Milliarden-Delikte reißt seitdem nicht ab. Bei FTX kommt all das zusammen, was Kryptowährungen eigentlich vermeiden helfen sollten: Spekulationsverluste, eine Bankenpanik, langfristige Anlagen bei kurzfristigen Verbindlichkeiten, ein Defizit an Eigenkapital, möglicherweise Unterschlagung von Kundengeldern und zudem noch ein Hackerangriff. Da waren die Hypothekenverluste bei Lehman Brothers eine eher simple Angelegenheit.

Wozu braucht man Kryptowährungen, wenn sie keine echte Alternative zum Währungssystem sind, sondern lediglich ein paralleles hochriskantes Finanzsystem? Wer sein Geld unbedingt digital anlegen will, wäre selbst mit dem von der EZB vorgeschlagenen digitalen Zentralbankgeld besser gestellt – da greift im Ernstfall wenigstens die Einlagensicherung. Die wichtigste Eigenschaft einer Währung ist Vertrauen – und das schwindet allmählich. Schätzungsweise eine Milliarde Dollar müssen Kryptofirmen jeden Monat für ihre Stromrechnungen ausgeben und dazu neugeschaffene Kryptos verkaufen. Das geht nur, solange Anleger eine mindestens gleichhohe Summe investieren. Noch weiß niemand, was passiert, wenn kein neues Kapital mehr in Kryptowährungen fließt.