© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/22 / 18. November 2022

Heißer Kampf um Lützerath
Energiepolitik: Linksradikale Berufsdemonstranten besetzen ein verlassenes Dorf im Braunkohletagebau
Martina Meckelein

Lützerath zählte nur selten in seiner fast 900jährigen Geschichte mehr als 100 Einwohner. Geschichte hat das Dörfchen über Jahrhunderte nicht geschrieben. Das hat sich geändert. Denn heute ist es zum Pilgerort geworden. Mehr noch: zum ultimativen Schlachtfeld der Klimabewegung in Deutschland. Nach dem Hambacher Forst blasen die selbsternannten Umweltschützer, die Linksextremisten und das aktivistische Partyvolk von Palettenbarrikaden und Baumhäusern aus zum letzten Gefecht. „Lützi bleibt!“ Das ist ihr Schlachtruf. Nun, das wird es sicherlich nicht. Lützerath wird vom Erdboden verschwinden. Darauf haben sich der Bund, die Landesregierung und der Energieriese RWE geeinigt. Doch welche Folgen ergeben sich daraus?

„Klar, hier sieht es aus wie eine Mondlandschaft“, sagt Christian Loose (47). Der AfD-Landtagsabgeordnete in Nordrhein-Westfalen ist Energieexperte der Fraktion. Der Diplom-Kaufmann arbeitete über acht Jahre bei RWE als Controller. Mit dem Braunkohletagebau kennt er sich aus. Auf der Aussichtsplattform am südlichen Ende der gigantischen Grube von Garzweiler II fegt der Wind den Regen ins Gesicht. Der graue Himmel macht den Eindruck einer zerstörten Welt perfekt. Kilometerlange Fließbänder winden sich durch die Grube, bis sie im Nirgendwo zu entschwinden scheinen. Dazwischen bewegen sich Laster, die von hier oben die Größe eines Stecknadelkopfes haben. Kein Baum. Kein Strauch, kein Vogel. „Aber einige Kilometer weiter“, sagt Loose, „entsteht das renaturierte Gelände, das wieder mit Masse, so nennt sich der an anderer Stelle weggebaggerte Erdaushub, aufgefüllt ist.“

Als sie uns sehen, ziehen sie sich Halstücher über Mund und Nase 

Links und rechts der beiden Flüsse Erft und Ruhr und auch zwischen ihnen liegt das Rheinische Braunkohlerevier. Seine Entstehung aus den riesigen Moorflächen dauerte 25 Millionen Jahre. Seit 100 Jahren wird in Garzweiler Braunkohle abgebaut. Hier sollen, so der BUND, bis in eine Tiefe von 210 Metern 1,2 Milliarden Tonnen Braunkohle lagern. Zur Zeit umfaßt der Tagebau eine Fläche von 35 Quadratkilometern. Im Dreischichtsystem fördert RWE 25 Millionen Tonnen Braunkohle pro Jahr. „Da der Energiewert der Braunkohle gering ist“, sagt Loose, „müssen die Kraftwerke nah am Abbaugebiet liegen.“ Die Kohle wird über ein 85 Kilometer langes Förderbandsystem und Werksbahnen direkt in die Kraftwerke Niederaußem und Neurath transportiert.

„Irgendwo dahinten müßte Lützerath liegen“, sagt Loose und zeigt Richtung Nordwesten. Der Weiler bei Erkelenz in Nordrhein-Westfalen ist von seinen Bewohnern verlassen worden. 2006 begannen die Umsiedlungen. Die Bagger haben sich schon bis auf rund 200 Meter an das Dorf herangefressen. „Himmel noch mal“, sagt der Taxifahrer aus Erkelenz, „wer kannte schon Lützerath? Das Dorf war eine Sackgasse, da fuhr niemand von uns hin, Lützerath wurde, wenn überhaupt, umfahren.“ 

Das hat sich geändert. Heute ist es das Ziel vieler Taxifahrten. „Hier auf dem Lande haben wir es nicht so mit dem öffentlichen Nahverkehr am Wochenende. Und diese jungen Leute, die diesen harten Kern, der sich da jetzt eingenistet hat, unterstützt, die kommen immer am Freitag in Erkelenz am Bahnhof an und organisieren sich dann bei uns ein Sammeltaxi.“ Freundlich seien die und sehr friedlich, berichteten seine Kollegen. Nur am Sonntag, wenn sie heimführen, seien die Taxis anschließend voller Matsch. „Klar, das ist da ja auch alles dreckig und feucht dort.“ 

In der Umgebung wundern sich die Menschen, wovon die jungen Leute die Bahnreisen und die Taxifahrten zahlen. „Hier geht die Mär um, daß die Geld fürs Demonstrieren bekommen, und wie finanziert sich dieser harte Kern? Die sind doch die Übriggebliebenen aus dem Hambacher Forst, demonstrieren seit Jahren.“ Die Räumung, meint der Taxifahrer, sollte jedenfalls unter der Woche stattfinden. „Da sind doch viel weniger Besetzer hier.“

Kontakt zwischen den Alt- und Neubürgern gäbe es nicht. Das selbstgezimmerte riesige Holztor, das sich kurz vor dem alten Dorfeingang über die Straße spannt, sieht auch nicht einladend aus. Die über einen Meter hoch aufgestapelten Pflastersteine lassen den farbenfroh gemalten Gruß: „Willkommen in Lützerath“ wie Hohn erscheinen. An einem Torpfeiler sind Leitersprossen angenagelt, obendrauf Aussichtsplattformen. „Mahnwache, 150 Meter“ weist ein Schild mit einem Pfeil den Weg. Die asphaltierte Straße ist quer aufgefräst. Mittendrin Löcher, in denen rote Plastikeimer stecken. Ein großes gelbes Holz-X steht auf einer Wiese. 

In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Atomkraftgegnern als x Symbol des Widerstandes im Wendland kreiert. „Sind Sie eine von den Aktivisten?“ fragt ein Mann im Mercedes-Geländewagen. „Nein, Sie?“ Er schmunzelt, dann fragt er: „Wissen Sie, wo dieser Mann gerade ist, der hier noch wohnen soll?“ Damit meint er den letzten ansässigen Bauern, der durch alle Instanzen hinweg klagt. Er scheint nicht zu Hause zu sein. „Der macht gemeinsame Sache mit den Aktivisten“, ist sich der Mercedesfahrer sicher.

Es geht weiter die Straße entlang, links Wald, rechts der Tagebau. Vorbei an Baumhäusern, aufgestapelten Palettenbarrikaden und am Straßenrand geparkten Kleinbussen aus dem gesamten Bundesgebiet. Am alten Ortsschild stehen weiße Zelte. Ein Grill raucht. Besetzer scheinen sich am Feuer zu wärmen. Als sie uns Fremde sehen, ziehen sie sich schwarze Halstücher über Mund und Nase und zur Sicherheit noch eine schwarze Sturmhaube übers Gesicht. Dann marschieren sie bedrohlich auf die Besucher zu – „Willkommen in Lützerath“. Lange blieben die Proteste in Lützerath friedlich. Doch in diesem Jahr beginnt die Situation zu eskalieren. Baggerarbeiten werden durch Besetzer behindert, Besetzer bewerfen Polizisten massiv mit Steinen. RWE sperrt Zugänge zum Tagebau ab und muß Sicherheitskräfte abstellen.

Am Rand des toten Dorfes stehen teils Schilder oder es hängen von den Häusern riesige Banner mit der Temperaturangabe: 1,50 Grad Celsius. Damit beziehen sich die Besetzer auf Berechnungen des Weltklimarats der Vereinten Nationen. Nach seinen Berechnungen könnte bei ungebremsten Emissionen bis Ende des Jahrhunderts die Erwärmung im weltweiten Durchschnitt mehr als vier Grad Celsius betragen. Die Helmholtz-Klima-Initiative führt dazu aus: „Auf dem UN-Klimagipfel von Paris im Jahr 2015 wurde beschlossen, daß der globale Temperaturanstieg auf „deutlich unter zwei Grad Celsius“ gegenüber vorindustriellem Niveau begrenzt werden soll, möglichst sogar auf 1,5 Grad.“

Am 4. Oktober hat sich das Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und der RWE AG darauf verständigt, den Kohleausstieg um acht Jahre vorzuziehen. Heißt: Abbau der Braunkohle endet 2030. Von 560 Millionen Tonnen sollen nur noch 280 Millionen Tonnen abgebaut und so mindestens 280 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. „Das pustet China in 8,6 Tagen in die Luft“, kommentiert Loose die Vereinbarung. Wobei er solche Vereinbarungen eh kritisch betrachtet, er nennt sie Salamitaktik. „Bis 2016 hieß es Abbau bis 2045, alles bei Garzweiler, alles bei Hambach. Danach beschloß Rot-Grün kurz vor den Wahlen 2017 die Rettung von Holzweiler, das liegt im Süden der westlichen Abbaugrenze und Verkleinerung von Garzweiler. Dafür durfte weiter alles bei Hambach und Inden abgebaut werden. 2020 beschlossen CDU und FDP dann die ‘Rettung vom Hambacher Forst’“, aber unter Beibehaltung von Garzweiler und Inden. Und jetzt die erneute Verkleinerung von Garzweiler.“

Loose sieht noch weitere Probleme auf die Region zukommen. „Es fehlt irgendwann Masse“, sagt er. Denn um die Landschaft zu renaturieren, also die Löcher zu stopfen, muß Masse, also Erde her. Doch die wird fehlen. Denn der dritte Umsiedlungsabschnitt mit den Ortschaften Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath sowie die Holzweiler Höfe entfällt. Und das bedeutet, daß sich die A 61 „auf Grund der veränderten Geometrie und Lage des Restsees“, heißt es im Eckpunktepapier der Landesregierung und des Bundes, nicht wie vorgesehen wiederherstellen lassen wird. RWEs Verpflichtung zur Wiederherstellung ist damit aufgehoben. 

Die Häuser stehen seit Jahren leer. Die sind jetzt totaler Schrott

Zwar wird sich das Unternehmen an der Realisierung der alternativen Verkehrsinfrastruktur beteiligen, aber nur in Höhe der Kosten, die für den Wiederaufbau der A 61 vorgesehen waren. „Im Landtag waren einige recht überrascht“, sagt Loose, „als ein RWE-Vertreter die Abgeordneten darüber aufklärte, daß die A 61 eine Sackgasse wird.“

Hätte sich die Landesverwaltung die Mühe gemacht, die Bevölkerungsentwicklung in den jetzt nicht mehr wegzubaggernden Dörfern anzuschauen, wären sie vielleicht zu einer anderen Entscheidung gekommen. Loose hat es getan, hier seine Zahlen: 83 Prozent der Bewohner haben Stand 30. Juni 2022 Keyenberg verlassen. 53 Prozent haben Kuckum verlassen und 82 Prozent Unterwestrich. Devastierung nennt man die Verlagerung von Ortschaften im Zusammenhang mit dem Braunkohletagebau. „RWE, habe ich gehört, läßt sich nicht lumpen“, sagt auf der Rückfahrt von Lützerath der Taxifahrer. „Die zahlen gute Preise für die Häuser.Und im Ernst, wer will denn jetzt wieder zurückziehen? Die Häuser stehen seit Jahren leer. Die sind jetzt totaler Schrott.“ Wie die in Lützerath. Eine Räumung müßte laut Deutscher Presse-Agentur, bis zum Ende der Rodungssaison am 28. Februar abgeschlossen sein.