© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/22 / 18. November 2022

Der Meinungskorridor wird schmaler
Geistige Sackgassen: Mit freiheitlicher Bildung haben Universitäten und andere Hochschulen heute kaum mehr etwas zu tun
Till Kinzel

Wie es um die vom Grundgesetz geschützte Freiheit von Lehre und Forschung aussieht, wenn man sich den Niederungen der Praxis zuwendet, kann man auch durch ein Gedankenexperiment nachvollziehen. Welche Personen werden nicht oder allenfalls ganz ausnahmsweise einmal zu Vorträgen an Universitäten eingeladen? Und welche Professoren äußern sich kritisch zu gesellschaftspolitischen und wissenschaftlichen Fragen erst dann, wenn sie bereits im Ruhestand sind? 

Vorträge „umstrittener“ Personen können nicht mehr ohne weiteres an Universitäten und anderen Hochschulen stattfinden, die sich, was besonders bedrückend ist, inzwischen tendenziell zu Horten der Meinungskontrolle und Gehäusen der Hörigkeit entwickelt zu haben scheinen. Auch die vielerorts betriebene offiziöse Einführung der Gendersprache schränkt die Meinungsfreiheit ein, dient sie doch neben der Stigmatisierung der Verweigerer auch der Ablenkung von eigentlich sachlich nötigen Diskussionen.

Vertreter abweichender Meinungen müssen befürchten, als „Nazis“ und „Rechte“, als „Querdenker“ oder „Klimaleugner“ stigmatisiert zu werden – dabei wäre es gerade die Aufgabe von Wissenschaft, solche „Framings“ zu unterlaufen. Und zwar zuallererst durch die schon von Hegel angemahnte „Anstrengung des Begriffs“, ohne die es keine Wissenschaft geben kann. Erst eine solche institutionalisierte Anstrengung des Begriffs böte die Voraussetzungen zu einer kritischen Analyse auch der im Namen der Wissenschaft auf uns einprasselnden Propaganda. Zu der gehört im übrigen auch der von Ideologen propagierte Slogan „Follow the science“ (JF 47/22).

Ergebnisoffene Forschung findet auch an deutschen Universitäten noch statt, aber man kann mit guten Gründen annehmen, daß inzwischen ein nicht unerheblicher Teil von Drittmittelprojekten zumindest in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften stark von den zeitgeistkonformen Moden geprägt sein dürfte. Jüngstes Beispiel ist ein mit immerhin einer Million Euro – man könnte das Ganze sicher auch billiger haben – von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt in Jena. Dieses soll dem schon längst in den Raum geistiger Ödnis abgesunkenen „Anfangsverdacht“ nachgehen, die großen Philosophen des deutschen Idealismus seien allesamt Rassisten, Antisemiten und Sexisten gewesen. Man kann hier leider sehr zuversichtlich sein, daß sich dieser Verdacht erhärten wird. 

Tatsache ist aber: Der Korridor der kontroversen Meinungen an den Universitäten ist schmaler, als es einem freiheitlichen System anstehen würde. Manchmal scheint es gar, als sei nicht einmal mehr ein Korridor vorhanden, sondern es gebe nur noch geistige Sackgassen, aus denen es kein Zurück mehr gibt. Denn weder in den Universitäten noch in den dafür prädestinierten öffentlich-rechtlichen Medien finden überhaupt noch nennenswerte Versuche statt, das wirkliche Meinungsspektrum abzubilden. 

Identitätspolitik unter dem Deckmantel von Diversität

Stattdessen spielen die Universitäten bei ihrer von der Politik gewünschten Politisierung eifrig mit: Gab es nennenswerte Proteste dagegen, die offizielle Zusammenarbeit mit russischen Wissenschaftlern einzustellen? Universitäten verschreiben sich offiziell aktuellen ideologischen Vorgaben in Fragen der Klimapolitik, der Migrationspolitik, der Corona-Politik – mit verheerenden Folgen auch für die Politikberatung. Sie beten den Götzen der „Diversität“ an, unter der aber heute nicht mehr die Vielfalt der Meinungen und wissenschaftlichen Positionen verstanden wird, sondern Identitätspolitik im Sinne des kulturwissenschaftlichen Mantras von „race, class and gender“, das zu den wirkungsmächtigsten Klischees unserer Zeit geworden und analytisch schlicht unterkomplex ist.

Anders als in den USA, wo es möglich ist, jenseits staatlicher Strukturen Forschungs- und Bildungsinstitutionen aufzubauen, ist der Spielraum dafür in Deutschland sehr begrenzt. Der Historiker David Engels plädiert gleichwohl dafür, „eigenständige Einrichtungen zu gründen“, in denen wenigstens an die Ausbildung einer „neuen, freien und vorurteilsfrei argumentierenden wissenschaftlichen Elite“ gedacht werden könnte. Bisher fehlen allerdings solche Strukturen, die ihren Studenten überhaupt Karrierechancen eröffnen könnten. Denn würden die von „woken“ Minderheiten unterwanderten Medien in der üblichen Weise ihre Kampagnen gegen solche Einrichtungen beginnen, wären bald auch deren Absolventen nachhaltig stigmatisiert.