© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/22 / 18. November 2022

Panorama der Renaissance
Ausstellung: Die Berliner Gemäldegalerie widmet dem Florentiner Bildhauer Donatello erstmals eine eigene Ausstellung in Deutschland
Regina Bärthel

Die Wandelhalle der Berliner Gemäldegalerie strahlt eine weihevolle Atmosphäre aus: Kruzifixe, Madonnen, biblische Gestalten und Putten aus Marmor, Bronze und Terrakotta entfalten unter gedämpfter Lichtführung ihre haptische Wirkung. Anders aber als an ihren ursprünglichen, zumeist sakralen Standorten befinden sie sich hier auf Augenhöhe mit dem Betrachter, treten sozusagen in einen Dialog von Mensch zu Mensch.

Mit der Ausstellung „Donatello. Erfinder der Renaissance“ organisierten die drei Sammlungen mit den größten Donatello-Beständen weltweit – den Musei del Bargello in Florenz, den Staatlichen Museen zu Berlin und dem Victoria and Albert Museum in London – die erste umfassendere Retrospektive des Künstlers: In ihr entfaltet sich das Werk Donatellos als vielgestaltiges Panorama aus unterschiedlichen Figuren und Inhalten, Werkstoffen und Techniken, flankiert von antiken Vorgängern und künstlerischen Nachkommen.

Donatello, eigentlich Donato die Niccolò di Betto Bardi (Florenz, ca. 1386–1466) galt bereits seinen Zeitgenossen als höchst experimentierfreudig, was Materialien und künstlerische Techniken, aber auch die Neuformulierung von Ikonografien und Emotionen anbelangte. Begonnen hatte er 1403 als Goldschmied in der Werkstatt von Lorenzo Ghiberti, die gerade an der monumentalen Bronzetür für das Florentiner Baptisterium arbeitete. Bald aber wechselte Donatello als Marmorbildhauer an die Florentiner Dombauhütte und schuf 1408/09 einen fast zwei Meter hohen „David“ aus Marmor: Der vorgeblich schwache David triumphiert über den mächtigen Goliath, dessen abgeschlagener Kopf – samt todbringender Steinschleuder – dem Hirtenjungen nun zu Füßen liegt. Dessen stolze Haltung im der Antike entlehnten Kontrapost wie auch die realitätsnahe Darstellung des selbstbewußten Individuums begründeten Donatellos Ruhm.

Diesem Ruhm lag eine eingehende Auseinandersetzung mit der antiken Kunst und Architektur zugrunde. Gemeinsam mit dem Architekten Filippo Brunelleschi entwickelte er zudem ein mathematisches Verfahren, das die überzeugende perspektivische Darstellung eines Raumes auf einer zweidimensionalen Fläche ermöglichte und das Donatello insbesondere für seine extrem flachen Marmorreliefs, die rilievi stiacciati, verwendete. 

Sprechendes Beispiel hierfür ist die „Pazzi-Madonna“ von 1422, eine Inkunabel florentinischer Kunst: Obgleich das in Marmor ausgeführte Basrelief keine nennenswerte reale Tiefe besitzt, entsteht ein nach den Prinzipien der Zentralperspektive angelegter Innenraum; Maria mit dem Kind – deren in weichen Falten fallende Kleidung die Härte des Marmors konterkarieren – stehen gleichsam an einem offenen Fenster. Auch die lebensnahe Darstellung der Personen unterscheidet sich von den artifizieller wirkenden Figuren der Hochgotik: Marias klassisches Profil ist dem Kind zugewandt; ihre Finger sinken deutlich in die Pobacke des mit einem Hemdchen bekleideten Erlösers ein – ein ausgesprochen lebendiges Kleinkind.

Ein Dasein voller Lebendigkeit in Körper und Geist

Experimentierte Donatello hier noch mit der Anwendung der Zentralperspektive, wie kleine Spuren am Rahmen zeigen, gestaltete er spätere Reliefs durch gestaffelte Räume zu wahren Szenografien aus („Das Gastmahl des Herodes“ am Taufbecken des Domes von Siena). Für das Bronzerelief „Kreuzigung“ (um 1455–65) übertrug er die Prinzipien der Zentralperspektive auf den Landschaftsraum. Die Tiefenwirkung wird insbesondere durch die sich verkleinernden Bäume übermittelt; deutlich wird hier aber, daß Donatello die Zentralperspektive in seinem Spätwerk weniger mathematisch als intuitiv anwendet. Zunehmend ist es nun die Darstellung menschlicher Emotionen, die ihn umtreibt, und so zeigt er die Formen menschlichen (Mit-)Leids von stiller Trauer über herzzerreißendes Weinen bis hin zu mänadenhafter Raserei, welche wiederum an Gestaltungen der Antike anknüpfen.

Diese psychologischen Dimensionen sowie die Unmittelbarkeit einer greifbaren Wirklichkeit waren eine weitgehende Innovation für die Kunst der ausgehenden Gotik. Neben seinen profunden Kenntnissen über die antike Skulptur gehörte Donatello auch zum Florentiner Kreis der „Humanisten“, die sich um die Wiederbelebung der Antike bemühten. Sie verlegten den Fokus ihrer wissenschaftlichen wie künstlerischen Aufmerksamkeit auf die Beobachtung und Abbildung der Natur sowie des Menschen in seiner Lebensrealität. Damit entsteht auch der Gedanke, daß selbst die Mutter Gottes oder Christus keine abstrakten, außerweltlichen Figuren, sondern menschlich waren. Das befreit sie einerseits aus der Sphäre der reinen Heilsgeschichte und verleiht ihnen den Ansatz des Realen. Zum anderen versetzt es das Individuum in die Lage, selbst über sein Leben zu bestimmen, sein Schicksal zu formen – was wiederum zur Emanzipation des Menschen der beginnenden Renaissance und ihres aufstrebenden Bürgertums beitrug.

Donatellos Skulpturen und Plastiken sollten ein Dasein voller Lebendigkeit in Körper und Geist bezeugen: Insbesondere die spiritelli, die kleinen Geister, die Donatello seit etwa 1420 gestaltete, waren inspiriert von antiken Darstellungen heidnischer Festzüge mit ausgelassenen Tänzen. Sie ermöglichten dem Künstler das Experimentieren mit Bewegung und Statik, wie die Bronzefiguren „Putto mit dem Tamburin“ und der auf einer Muschel balancierende „Tanzende Spiritello“ (beide 1429) zeigen.

In diese sinnenfreudige Runde gehört auch der berühmte „Amor Attis“ (1435–40), ein tanzender Knabe, geflügelt wie Amor, eine Schlange zertretend wie Herakles – und zugleich sinnenfreudig mit freiliegendem Geschlecht und dem Schwänzchen eines Fauns. Wen oder was er tatsächlich darstellt, ist bis heute noch ein ungeklärtes Rätsel der Kunstgeschichte, gestalterisch wirkt er aber durchaus wie ein Vorgänger des berühmten bronzenen „David“: Mit ihm schuf Donatello die erste freistehende Aktfigur nach der Antike; einen grazilen Helden, der – wiederum im Kontrapost stehend – kokett und voll lebendiger Beweglichkeit den abgeschlagenen Kopf seines Widersachers zu umtänzeln scheint (in der Ausstellung als Gipsreplik von 1882 zu sehen). Er entstand im Auftrag des Bankiers und Staatsmanns Cosimo de’ Medici, der ab 1434 die Politik von Florenz jahrzehntelang lenkte und den kulturellen Aufschwung der Stadt förderte. Donatellos siegreicher Jüngling wurde – wie auch seine spätere Bronzefigur der „Judith“ – sehr bewußt als Symbol der Wehrhaftigkeit des kleinen Stadtstaates Florenz und der Dynastie der Medici interpretiert. 

Donatello als „Erfinder der Renaissance“ zu bezeichnen, klingt nach Marketingstrategie – immerhin haben bedeutende Kunsthistoriker wie Aby Warburg und Erwin Panowsky das Fortleben der Antike auch im „finsteren“ Mittelalter umfassend belegt. Dennoch hatte Donatello unbestreitbar einen immensen Einfluß auf die Kunst der Renaissance:

Durch Plastizität und natürliche Textur, lebendige Beweglichkeit und emotionalen Ausdruck schuf Donatello nicht nur realitätsnahe Skulpturen und Charaktere, sondern er beförderte auch die Idee des Individualismus. Als Humanist formte er seine Skulpturen aus einem neuen Verständnis für die Welt, für das Individuum heraus, nicht zuletzt ausgehend von der Suche nach wissenschaftlichen Erkenntnisses jenseits dogmatischer Ansätze und ideologischer Verbote. Ein Verständnis, dessen Renaissance auch nach Donatello immer wieder notwendig wurde und sein wird – bis heute.

Die Ausstellung „Donatello, Erfinder der Renaissance“ ist bis zum 8. Januar 2023 in der Berliner Gemäldegalerie, Matthäikirchplatz, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr, zu sehen. Telefon: 030 / 266 42 42 42

Im Anschluß präsentiert sich die Schau im Victoria & Albert Museum in London. Der Katalog mit 344 Seiten und 296 Abbildungen kostet 39 Euro.  www.smb.museum