© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/22 / 18. November 2022

Ein Lied wie ein Roman
Kino I: Ein Dokumentarfilm widmet sich dem Leben und der bedeutendsten Komposition des Musikers Leonard Cohen
Dietmar Mehrens

Manchmal steckt in einem Lied eine ganze Künstlerbiographie. Denn wie sein Urheber, der am 21. September 1934 im kanadischen Montreal in eine wohlhabende jüdische Familie hineingeborene Leonard Cohen, legte auch dessen wohl bekannteste Komposition „Hallelujah“ eine bemerkenswerte Karriere hin. „In diesem Lied steckt eine solche Tiefe und Mehrdeutigkeit und es spricht einen sowohl auf der persönlichen als auch auf der spirituellen, sinnlichen und biblischen Ebene an“, meint Dayna Goldfine, die zusammen mit ihrem Kollegen Daniel Geller den Dokumentarfilm „Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song“ produziert und realisiert hat, eine Verneigung vor Künstler und Werk gleichermaßen. 

Cohen hatte sich zunächst als Schriftsteller versucht. 1963 veröffentlichte der vielseitig Begabte den Roman „The Favourite Game“, 1964 den Gedichtband „Flowers for Hitler“. Vieles davon entstand auf der griechischen Insel Hydra, wo Cohen zeitweise lebte. 1966 erschien sein bekanntestes Buch „Beautiful Losers“. Ein Jahr später dann die Hinwendung zur Musik mit der ersten Langspielplatte „Songs of Leonard Cohen“. Es war der verheißungsvolle Auftakt zu einer fast fünfzigjährigen musikalischen Karriere mit vierzehn Studio- und mehreren Live-Alben, die sich weltweit über sechs Millionen Mal verkauften. Mit Liedern wie „Suzanne“, „So Long“, „Marianne“ und natürlich „Hallelujah“ wurde er weltberühmt.

Verleihfirma will keine Berichte in konservativ-christlichen Medien

1996 zog Cohen sich in ein buddhistisches Kloster in der Nähe des südkalifornischen Mount San Antonio zurück und bekam den Mönchsnamen Jikan („der Stille“). Erst im Mai 2008 startete der inzwischen Legendäre wieder eine Welttournee, gab Konzerte in Kanada, den USA, Australien, Israel und Europa, fünf davon 2010 in Deutschland. Sein letztes Album „You Want it Darker“ kam drei Wochen vor seinem Tod am 7. November 2016 heraus. Cohen wurde 82 Jahre alt. Sein Biograph Alan Light, der auch an der Produktion von „Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song“ beteiligt war, schrieb das Buch, auf dem die Filmdoku basiert: „The Holy or the Broken: Leonard Cohen, Jeff Buckley & the Unlikely Ascent of Hallelujah“.

Mit einer bemerkenswerten Fülle teilweise unveröffentlichter Archivaufnahmen und Interview-mitschnitte zeichnen Daniel Geller und Dayna Goldfine ein vielstimmiges Porträt des Musikers und seines berühmtesten Liedes, das als unzeitige Geburt anfangs einen schweren Stand hatte: Jahrelang hatte Cohen an seinem Meisterstück gefeilt. Doch seine Plattenfirma Columbia winkte ab. Erst in der Interpretation anderer musikalischer Größen wie John Cale, Bob Dylan, Jeff Buckley und Rufus Wainwright wurde „Hallelujah“ zum Knüller und stürmte die Hitparaden.

„In unserem Film wollten wir von vornherein drei Erzählstränge miteinander verbinden“, erläutert Goldfine den künstlerischen Ansatz des Emmy-prämierten Regie-Duos. „Der Mensch Leonard Cohen und die einzige Person, die ‘Hallelujah’ hätte schreiben können; die Rezeptionsgeschichte des Liedes von der Ablehnung durch das Plattenlabel bis hin zu seinem Siegeszug als internationaler Hit; und die Frage, wie unterschiedlich andere Künstler Leonard Cohens Lied für sich interpretierten.“

Als der Porträtierte 2016 starb, war die Arbeit an dem Film bereits im Gange. „Ich bin nicht sicher, ob sein Tod etwas verändert hat im Hinblick auf die Ausrichtung des Films“, meint Daniel Geller, „aber ich bin traurig, daß Leonard nie die Chance hatte, zu sehen, was wir taten. Ich hoffe, es hätte ihm gefallen!“

Das bedeutendste Material verdanken die Filmemacher dem Musikjournalisten Larry Sloman, bekannt als Autor von „On the Road with Bob Dylan“. Zwischen 1974 und 2001 führte er zahlreiche Gespräche mit Leonard Cohen, die seinen Werdegang dokumentieren. Zu Wort kommen unter anderem Weggefährten wie Judy Collins, die 1967 Cohens ersten Auftritt in der Town Hall in New York möglich machte, der Komponist und Plattenproduzent John Lissauer, Clive Davis, der Präsident von Columbia Records, der Cohen 1967 unter Vertrag nahm, der Sänger Rufus Wainwright, dessen Version von „Hallelujah“ für den Animationsfilm „Shrek“ (2001) eine Art Raketenstufenzündung für die weltweite Popularität des Musikstückes war, und Rabbi Mordecai Finley, das geistige Oberhaupt der Synagoge in Los Angeles, der der stets religiös Verankerte in seiner letzten Lebensdekade die Treue hielt.

Schade nur, daß der Film mit Prokino einen deutschen Verleih bekommen hat, dem der Erfolg im Juste-milieu offenbar wichtiger ist als beim Publikum insgesamt. Als die Prokino-Pressestelle erfuhr, daß eine Kritik in der JUNGEN FREIHEIT geplant ist, verweigerte sie die bereits in Aussicht gestellte Vorab-Sichtungsmöglichkeit und begründete diesen im Filmmarketing ungewöhnlichen Schritt damit, daß „wir zum Kinostart des Films von einer Berichterstattung in Medien aus dem konservativ-christlichen Mediensegment absehen möchten“. Aber was will man von Leuten, die einen Kommentar von Geller und Goldfine zum Film „Statement der Regisseur:in“ überschreiben, anderes erwarten? Einem Kinobesuch sollte trotz dieser bedauerlichen Einschränkung beim Zielpublikum nichts im Wege stehen.


Kinostart ist am 17. November 2022

 http://hallelujah-derfilm.de/