© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/22 / 18. November 2022

Mit 65 ist noch lange nicht Schluß
Kino II: Wie bringt man eine eingerostete Ehe in Schwung? Der Komödie „Die goldenen Jahre“ fallen darauf nur abgestandene 68er-Antworten ein
Dietmar Mehrens

Deine Tochter trinkt zuviel“, sagt Alice (Esther Gemsch). „Und dein Sohn ist ein Gigolo“, antwortet ihr Mann Peter (Stefan Kurt). Und sie beide zusammen: „Nicht mehr unser Problem!“ Nach 42 Ehejahren stehen die beiden vor neuen Herausforderungen. Denn Peter ist soeben Pensionär geworden und wild entschlossen, sich nun mit allen Kräften für den Gesundheitsschutz zu engagieren, den eigenen, wohlgemerkt: Er möchte durch Alkoholverzicht, vegane Kost und regelmäßiges Laufen gesund bleiben und einen geruhsamen Lebensabend verbringen. Alice hingegen, für die mit 65 noch lange nicht Schluß ist, möchte „noch etwas vom Leben haben“ und durch die Weltgeschichte tingeln. Als Alices Freundin Magali (Elvira Plüss) überraschend verstirbt, wirft die Verzweiflung des verwitweten Heinz (Ueli Jäggi) die Frage auf, wie man im Rentenalter noch optimistisch nach vorne schauen kann. „Nach vorne schauen?“ meint Heinz. „Was ist dort? Nichts!“ 

Ob vielleicht eine Kreuzfahrt mit Aussicht auf die weiten Horizonte des Mittelmeeres diese Perspektivlosigkeit beheben kann? Jedenfalls nehmen Alice und Peter Heinz mit auf die von Alice hinter dem Rücken ihres Mannes geplante Reise. Doch an Bord der „Costa Smeralda“ entfernen sich die alten Eheleute nur noch mehr voneinander: Sie möchte was erleben, er liest mit Heinz Bücher über veganen Humanismus. Schließlich faßt Alice einen folgenschweren Entschluß – und geht in Marseille von Bord, ohne Peter und Heinz vorab darüber in Kenntnis zu setzen. 

In Frankreich versucht Alice sich als Miß Marple: Sie möchte dem Geheimnis eines heimlichen Liebhabers der verblichenen Magali auf den Grund gehen. Die hatte nämlich ihr dessen Liebesbriefe hinterlassen und sie damit in die geheimgehaltene Affäre eingeweiht.

Eine Kommune als Alternative zur bürgerlichen Familie?

Die von der Zürcher Regisseurin Barbara Kulcsar inszenierte Seniorenkomödie dürfte in Kürze auch als Montagsfilm bei den Mainzelmännchen zu sehen sein. Denn die ZDF-Koproduktion paßt hervorragend in das Format des 20.15-Uhr-Fernsehfilms der Woche. Zwar wartet das unterhaltsame Drehbuch von Petra Volpe mit pointierten Dialogen und einigen lustigen Einfällen auf; leider gibt es aber auch die erwartbaren leidigen Peinlichkeiten wie betrunkene Frauen, gebrauchte Kondome oder einen sexsüchtigen Sohnemann, der jede Nacht mit einer anderen Tinder-Bekanntschaft intim wird.

In Frankreich trifft Alice erst auf ein Althippie-Pärchen, das ihr halluzinogene Pilze verschreibt (und sie die auch ausprobieren läßt), und dann auf einen Lesben-Harem, der als vitales Alternativmodell zur bürgerlichen Familie präsentiert wird. Könnte Alice womöglich in einer Kommune glücklicher werden als in ihrer Ehe?

Daß in Zeiten einer fundamental verunsicherten jungen Generation und rapide steigender psychischer Erkrankungen immer noch Fördergelder für Filme fließen, die abgestandene Achtundsechziger-Rezepte wie Drogen, sozialistisch-feministische Kollektive und entgrenzte Libido propagieren und damit, frei nach Karl Kraus, die Krankheit zur Therapie machen, dürfte bei kritischen Geistern Kopfschütteln hervorrufen. Wie es ohne Anbiederung an den dekadenten Zeitgeist geht, zeigte vor ein paar Wochen der Hollywood-Spaß „Ticket ins Paradies“ (JF 38/22). Im Vergleich zu der flotten Komödie mit George Clooney und Julia Roberts wirken „Die goldenen Jahre“, die die 51jährige Kulcsar zelebriert, wie ein Therapieprogramm für bornierte Ewiggestrige, die ihre Felle davonschwimmen sehen. Man fühlt sich – um im Thema Kreuzfahrt zu bleiben – erinnert an die Kapelle auf der „Titanic“. Trotzig wird auch dann noch dieselbe alte Leier gespielt, wenn der tödliche Eisberg längst gerammt ist.


Kinostart ist am 17. November 2022