© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/22 / 18. November 2022

Einseitige Vielfalt
Die ARD sucht in ihrer Themenwoche den Zusammenhalt – und preist die Fragmentierung
Boris T. Kaiser

Bei der ARD sorgt man sich um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Bundesrepublik. Immerhin sieht laut einer von den Anstalten beauftragten Umfrage von Infratest Dimap eine Mehrheit der Bürger „sehr große oder große Konflikte“ zwischen „Arm und Reich“ (76 Prozent), zwischen „Befürwortern und Gegnern der Corona-Maßnahmen“ (72 Prozent) und zwischen „Einheimischen und Zugewanderten“ (62 Prozent). 

Deshalb gab es im Ersten vom 6. bis zum 12. November die Themenwoche „Wir gesucht“, in der die öffentlich-rechtliche Arbeitsgemeinschaft der Frage nachging: „Was hält uns zusammen?“ Die Sorge der zwangsbeitragsfinanzierten Medienmacher um die Spaltung in unserer Gesellschaft ist durchaus interessant. Haben sie, wie Kritiker meinen, in den vergangenen Jahren trotz allerlei kollektivistischem Geschwafel, doch selbst erheblich dazu beigetragen, daß das deutsche „Wir“ immer kleiner wurde. Man konnte also gespannt sein, wen der Sender, der große Teile seiner Beitragszahler sonst gerne mal von sogenannten Faktenfindern oder in immer einseitig schärfer werdenden „Tagesthemen“-Kommentaren beschimpfen läßt, mit seinem „Wir“ denn eigentlich meint – und ob beiden Seiten der Konflikte innerhalb der Bevölkerungsgemeinschaft zu Wort kommen.

Die eine Seite der Konflikte kommt kaum zu Wort 

Einen ersten Hinweis darauf konnte man bereits in der Sprache erkennen, in der der Aufruf an die „Nutzer*innen“ zum Dialogtag am 8. November verfaßt war. Dort kamen unter anderem „Müllwerker:innen“, Feuerwehrleute und „Forstwirt:innen“ zu Wort. Das öffentlich-rechtlich angestrebte Wir-Gefühl sollte also offenkundig in jedem Fall ein geschlechtsneutrales sein. Völlig egal, was die absolute Mehrheit da draußen von der hierbei verwendeten Gendersprache hält. 

Auch People of Color, Behinderte und der Islam durften in der Themenwoche über die moderne deutsche Gesellschaft natürlich nicht zu kurz kommen. Die Dokumentation „Ramadan in a Day“ zeigt „Sechs Menschen in verschiedenen Städten Deutschlands“ und wie sie „den letzten Tag des muslimischen Fastenmonats Ramadan und das große Fest an seinem Ende“ erlebten. Ebenfalls im Angebot der ARD-Themenwoche, deren Formate in der Mediathek des Senders abrufbar sind, ist die Dramedy-Serie „Lamia“, die die Geschichte einer selbstbewußten jungen Frau erzählt, die mit ihrer Geriebenheit zwischen ihrer algerischen Kultur und westlichen Sehnsüchten zu kämpfen hat.

Etwas abseits von diesen einseitig „vielfältigen“ urbanen Großstar-Themen setzte die Reihe „Dorfhelferinnen“ an. Hier wurden Andrea, Paula und Anja vorgestellt, die immer dann anrücken, wenn eine Familie oder ein Hof in harten Zeiten Hilfe brauchen. „Gehören wir denn gar nicht mehr zur Gesellschaft?“, werden sich einige deutsche weiße Herren der Schöpfung jetzt langsam fragen. Wenn es nach den Machern der Themenwoche geht, wohl eher weniger. Der einzige Bereich, in dem es noch so richtig von Männern wimmelt, ist in der Programm-Übersicht der Mediathek die Kategorie „Retro“, in der es Schwarzweiß-Aufnahmen von Moped-Klubs, Pfadfindern oder vom Fingerhakeln gibt. Die junge Generation ist zumindest in der Vorstellung der Redakteure vom Gebührenfernsehen aber ganz klar antimaskulin – und beschäftigt sich mit den wirklich wichtigen Dingen des Lebens. Vor allem mit dem allerwichtigsten, dem menschengemachten Klimawandel. So widmet der Hessische Rundfunk der deutschen Klimaaktivistin Luisa Neubauer und der Insektenbotschafterin des Naturschutzbunds Deutschland (NABU), Jasmin Schreiber, eine eigene Doku, in der die beiden vor allem ihre eigenen Bücher bewerben durften. 

Ob die ARD das gesuchte „Wir“ für sich gefunden hat, weiß man nach dem Anschauen der Sendungen nicht so genau. Vielen Zuschauern dürfte durch die Themenwoche erst so richtig bewußt geworden sein, wie lange es bereits verschwunden ist. Einem momentan heiß diskutierten Konflikt wichen die Verantwortlichen aus: In einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Ipsos sprachen sich 35 Prozent der Befragten dafür aus, ARD und ZDF zu fusionieren, und 35 Prozent wollen den ÖRR gleich vollständig abschaffen.