© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/22 / 18. November 2022

Zweierlei Verständnis von richterlicher Unabhängigkeit
Indirekte und direkte Steuerung
(dg)

Thomas Fischer, ein ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof, nun linksliberaler Kolumnist zur deutschen Rechtspolitik, behauptet, „direkte Versuche, die Justiz politisch zu steuern, sind in Deutschland extrem selten“. Musterbeispiele für „direkte Zersetzungen“ der Unabhängigkeit der Justiz und der Gewaltenteilung lieferten hingegen Polen oder Ungarn. Im Vergleich damit eröffne das deutsche Justizsystem der Politik lediglich Möglichkeiten indirekter Einflußnahme. So werden Bundesrichter vom Richterwahlausschuß des Bundestags in einem „nicht immer durchsichtigen Verfahren“ gewählt. Während die Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts sogar von einem „gesetzlich nicht vorgesehenen parteipolitischen Vorschlagsrecht dominiert“ werde, „das in der Praxis zum informellen Anspruch der großen Parteien führt, bestimmte Richterstellen zu besetzen“ (Kulturaustausch, 4/2022). Gemindert, so versichert Fischer allen Ernstes, werde das dadurch entstandene Risiko einer politisierten Verfassungsjustiz durch die Beschränkung der Amtszeit auf „nur“ zwölf Jahre. Eine subtile, aber höchst effiziente Methode politischer Steuerung resultiere überdies aus dem beamtenrechtlichen Beurteilungswesen. Es liege auf der Hand, daß dies eine „Haltung der Anpassung“ an politische Vorgaben fördere. 


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