© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/22 / 18. November 2022

„Die Erderwärmung anhalten“
Bundesverfassungsgericht kippt das Verbot von Windenergieanlagen in Waldgebieten
Christian Schreiber

Thüringen ist – wie Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland – nur mittelmäßig für den effizienten Betrieb von Windkraftanlagen (WKA) geeignet. Nur in den höheren und oft waldreichen Lagen ist es in der Regel so windig wie in den nördlichen Bundesländern. Und regional gibt es immer mehr Widerstand gegen den Bau neuer und immer größerer WKA. Die Bundesregierung will dennoch, daß „auch in weniger windhöffigen Regionen der Windenergieausbau deutlich vorankommt, damit in ganz Deutschland auch verbrauchsnah Onshore-Windenergie zur Verfügung steht“, wie es im Ampel-Koalitionsvertrag heißt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat nun ganz im Sinne der drei Koalitionäre entschieden und so den Weg zum Bau von Windkraftanlagen in Wäldern freigemacht.

Eine nur zwei Jahre alte Gesetzesänderung in Thüringen, die das verhinderte, wurde damit vom Ersten Senat unter Stephan Harbarth (CDU) formal gekippt: Dem „Freistaat Thüringen fehlt es hierfür an der Gesetzgebungszuständigkeit“. Die weitere BVerfG-Argumentation hat es aber in sich: Der Ausbau der Windkraft leiste einen „unverzichtbaren Beitrag“ zur „verfassungsrechtlich durch Artikel 20a“ (Staat schützt die natürlichen Lebensgrundlagen) gebotenen Begrenzung des Klimawandels. Um die „Erderwärmung bei deutlich unter 2,0 °C, möglichst 1,5 °C anzuhalten, müssen erhebliche weitere Anstrengungen der Treibhausgasreduktion unternommen werden, wozu insbesondere der Ausbau der Windkraftnutzung beitragen soll“.

„Uns bei der Energiewende zu lange unnötig aufgehalten“

Wer in Thüringen Wald besitzt und dieses Grundstück anders nutzen will – etwa als Ackerfläche oder als Bauland – braucht eine Genehmigung der Landesbehörde Thüringenforst. Seit Dezember 2020 enthält das Landeswaldgesetz in Paragraph 10, Absatz 1 die Regelung: „Eine Änderung der Nutzungsart zur Errichtung von Windenergieanlagen ist nicht zulässig.“ Das störte einige Waldbesitzer, die durch Sturmschäden oder Borkenbefall beeinträchtigte Waldflächen gerne gewinnträchtig veräußern würden. Unter Druck geriet die Landesregierung unter Bodo Ramelow (Linke) zudem durch ein Bundesgesetz, das im Februar 2023 in Kraft tritt: 1,8 Prozent der Landesfläche müssen bis 2028 und weitere 0,4 Prozent bis 2032 für WKA genutzt werden.

Doch Ramelows rot-rot-grüne Koalition hat keine Mehrheit im Landtag – er muß CDU oder FDP und manchmal auch indirekt der AfD Zugeständnisse machen. So kam das „pauschale Umwandlungsverbot von Waldflächen für Windenergieanlagen“ (BverfG) zustande. Doch nun kann die thüringische Umweltministerin Anja Siegesmund von den Grünen jubeln: Die Karlsruher Entscheidung „löst endlich eine Blockade in Thüringen, die uns bei der Energiewende zu lange unnötig aufgehalten hat“. Eine weitere „Blockade“ wurde ganz ohne BVerfG aufgehoben: Ursprünglich sollte im November eine 1.000-Meter-Abstandsregel von Windrädern zu Wohngebäuden verabschiedet werden – mit den Stimmen von CDU, AfD und FDP.

Das hatte massive Kritik ausgelöst. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert warnte in Anspielung auf den AfD-Landeschef vor einer „Gesetzesmehrheit von Höckes Gnaden“, die „die Autorität von CDU-Chef Friedrich Merz“ in Frage stelle. Dieser hatte „eine Brandmauer zur AfD“ dekretiert, mit Blick auf die Lage in Erfurt aber auch erklärt: „Wir können nicht jeden Antrag, den wir in der Sache für richtig halten, davon abhängig machen, ob die AfD dem zustimmt oder nicht“. Schließlich hatten sich CDU-Fraktionschef Mario Voigt und Ramelow auf einen Kompromiß verständigt. Nun will man sich am rot-schwarze-grünen Brandenburg orientieren: Die 1.000-Meter-Regel bleibt im Gesetzentwurf, wird aber um eine Öffnungsklausel ergänzt.

Der WKA-Streit entzweit auch die Umweltbewegung. Auf der einen stehen die Grünen, die die Energiewende – wie das BverfG – für sakrosankt halten. Andererseits gibt es regionalen Widerstand und die „Altökologen“: „Allein durch den Bau der Zuwegung und die Standfläche der Anlagen büßen unsere Wälder einen erheblichen Teil ihrer ökologischen Funktion ein. Ferner stellen die Anlagen eine tödliche Gefahr, insbesondere für Vögel und Fledermäuse dar“, heißt es in einem Positionspapier der Umweltverbände BUND und Nabu. Die Deutsche Wildtier Stiftung gibt zu bedenken: „Windkraftanlagen auf die Höhenzüge zu bauen, bedeutet nicht nur Rodung von Bäumen. Intakte Ökosysteme werden zerschnitten, Böden versiegelt und Fundamente errichtet, um Windfabriken von der Höhe des Kölner Doms in den Wald zu stellen“.

Selbst Greenpeace, deren internationale Direktorin Jennifer Morgan nun Staatssekretärin im grün geführten Auswärtigem Amt ist, sorgt sich zumindest um die ökologisch wertvollen Forste: Es sei nicht untretbar, „wenn großflächig Waldgebiete abgeholzt oder zerstört werden, die für den Schutz von Natur- und Artenvielfalt, Wasserspeicherung und Bodenschutz von größter Bedeutung sind“. Wie erbittert die Diskussion geführt wird, zeigen Diskussionen aus ländlichen Regionen in Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Diese drei Bundesländer haben sich zu den Vorreitern in Sachen Windkraft in „weniger windhöffigen“ Gebieten erklärt.

Waldbewirtschaftung, von der die gesamte Gesellschaft profitiert?

Dort geht der Riß seit Jahren quer durch die grünen Kreisverbände. Im Saarland pochte die Landespartei auf eine stärkere Windkraftnutzung. Dagegen regte sich der Widerstand von regionalen Öko-Initiativen. Dabei geht es nicht nur um Anlagen im Wald. Kritiker monieren Schattenwurf, Gefahr für Vögel und eine kaum zumutbare Lärmbelästigung. Doch es sind nicht nur ökologische Aspekte, die eine Rolle spielen. Und damit wären wir wieder in Thüringen. Denn viele Waldbesitzer sehen im möglichen Verkauf ihrer Flächen eine gute Einnahmequelle. Niedersachsen hat vor einiger Zeit die Bedingungen für den Bau neuer Anlagen gelockert.

Einflußreiche Waldbesitzer hatten zuvor ihre Forderung nach einer Nutzung für WKA untermauert: „Allein in Niedersachsen haben wir über 60.000 Hektar Schadflächen, die wiederaufgeforstet werden müssen“, erklärte Philip Freiherr von Oldershausen, Präsident des Waldbesitzerverbandes Niedersachsen (WBV). Die vermehrten Waldschäden setzten die Forsteigentümer finanziell unter hohen Druck: Fördertöpfe seien ausgeschöpft, der Waldschutz allein aber nicht zu stemmen. Die Waldbesitzer müßten „umfassend in die Lage versetzt werden, eine zukunftsorientierte Waldbewirtschaftung, von der die gesamte Gesellschaft profitiert, umzusetzen“, forderte Petra Sorgenfrei, Geschäftsführerin des WBV.

Die konservativere Schutzgemeinschaft Deutscher Wald ist ob dieser Argumentation entsetzt. Die vom Klimawandel geschwächten Wälder zusätzlich durch den Bau und Betrieb von Windkraftanlagen zu destabilisieren, sei unverantwortlich.

BVerfG-Beschluß zu Windenergieanlagen im Wald (1 BvR 2661/21):  bundesverfassungsgericht.de