© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/22 / 25. November 2022

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Wohin geht die Reise?
Paul Rosen

Internationale Flughäfen haben ein gemeinsames Merkmal: Die Wahrscheinlichkeit, im Wartebereich auf Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu treffen, ist sehr hoch. Die regelmäßig stattfindenden „Delegationsreisen“ gelten als Höhepunkte des parlamentarischen Lebens. Motto: Je weiter weg, desto besser. Und mag der Anlaß noch so nichtig sein: deutsche Abgeordnete fahren hin. Die Touren lassen sich für die Reisenden recht einfach realisieren, denn die Organisation übernehmen Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung und die deutschen Botschaften vor Ort. Die Rechnung geht an den Steuerzahler. 5,6 Millionen Euro stehen in diesem Jahr dafür bereit.

Dabei klingt manch eine Begründung sogar vernünftig: So begab sich eine aus acht Abgeordneten bestehende Delegation des Bauausschusses im Oktober nach Singapur. „Singapur hat es  geschafft, das Problem der Wohnraumknappheit und hoher Wohnkostenbelastung in einer teuren Metropole nachhaltig zu lösen“, heißt es in einer Pressemitteilung des Bundestags. Offenbar baut der Staat dort die Wohnungen und verkauft sie an die Bürger oder vergibt sie als Erbpacht. 

Wenn das alles so stimmen sollte, stellt sich die Frage, warum die Abgeordneten nicht schon vor vielen Jahren dorthin gefahren sind und diese sensationelle Lösung des Wohnraumproblems in Deutschland umgesetzt haben. Antwort: Die Polittouristen lassen zwar kaum ein Land aus, aber Konsequenzen aus ihren Erlebnissen und Eindrücken werden in der Regel nicht gezogen. Reisen vereint übrigens alle Fraktionen: Auch wenn die anderen Fraktionen jeden Kontakt mit der AfD meiden, sind die parlamentarischen „Outlaws“ als Ausschußmitglieder bei fast jeder Reise dabei.    

Taiwan galt früher als weißer Fleck auf der Karte des Parlamentstourismus. Seitdem die USA das Regime in Peking kritischer betrachten und die deutsche Außenpolitik diese Wende mitgemacht hat, sind Delegationsreisen nach Taiwan möglich; für Peking, das den Inselstaat als abtrünnige Provinz betrachtet, ein diplomatischer Affront. Zwei Delegationen aus Berlin wurden seit der parlamentarischen Sommerpause in der Hauptstadt Taipeh gesehen: Der „Freundeskreis Berlin-Taipeh“ war ebenso dort wie der Ausschuß für Menschenrechte. Diese Delegation flog danach nach Japan weiter. 

Immer wieder beliebt sind Reisen nach Afrika. Der Ernährungsausschuß sah sich in Sambia und Kenia um, wo auch die „Parlamentariergruppe Östliches Afrika“ war. Es gibt auch eine „Parlamentariergruppe Südliches Afrika“, deren Mitglieder in Namibia anzutreffen waren. Dort war auch eine Delegation des Bildungsausschusses, die zudem Südafrika besuchte, genau wie der Ausschuß für wirtschaftliche Entwicklung, der dann nach Malawi weiterreiste. 

Traditionell besonders oft sind deutsche Abgeordnete in den Vereinigten Staaten anzutreffen. Doch damit ist die Reiseliste längst nicht erschöpft.  Weitere Ziele waren Kolumbien, Bolivien, Indien, Südkorea, Katar und Ägypten.