© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/22 / 25. November 2022

Angriff auf die Familie
Gesellschaftspolitik: Das Bundeskabinett beschließt den Aktionsplan „Queer leben“ und will damit auch in die Schulen hineinwirken
Björn Harms / Christian Vollradt

Energie, Sicherheit, Schuldenaufnahme – an Konfliktstoff in aktuellen Fragen und Krisen mangelt es der Ampelkoalition gewiß nicht. Um so einiger sind die SPD, Grüne und FDP, wenn es um gesellschaftspolitische Umbaumaßnahmen geht. Da herrscht innerkoalitionär eitel Sonnenschein bis zum Regenbogen, da zieht man an einem Strang. Kein Wunder also, daß am vergangenen Freitag ein sichtlich erfreuter Queerbeauftragter der Bundesregierung seinen Aktionplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt vorstellte. Sven Lehmann, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfamilienministerium, hat bei diesem Vorhaben, das bereits im rot-grün-gelben Koalitionsvertrag vereinbart worden war, das Hütchen auf.

Reibungslos, so der Eindruck, gingen die 17 Seiten durch die Ressortabstimmung. Denn es geht um eine die Zuständigkeiten der einzelnen Ministerien „übergreifende Strategie zum Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie alle queeren Menschen (LSBTIQ*)“. Sechs Handlungsfelder, die es zu „stärken“ gilt, zählt der Plan auf: rechtliche Anerkennung, Teilhabe, Sicherheit, Gesundheit, Beratungsstrukturen und Internationales.

So soll etwa das Abstammungs- und Familienrecht „modernisiert und an die gesellschaftliche Realität“ angepaßt werden. Wenn etwa „ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren wird“, sollen „automatisch beide rechtliche Mütter des Kindes“ werden, „sofern nichts anderes vereinbart ist“. Bisher mußte die Partnerin, die nicht leibliche Mutter ist, das Kind adoptieren und ein Stiefkind-Adoptionsverfahren durchlaufen. Regenbogenfamilien sollen im Rahmen des Abstammungsrechts anerkannt werden. Mit dem sogenannten „kleinen Sorgerecht“ als eigenem Rechtsinstitut soll im Einvernehmen mit den rechtlichen Eltern das Sorgerecht auf zwei weitere Erwachsene übertragen werden können.

Gleichzeitig treibt der Aktionsplan die Institutionalisierung einer Art Polygamie „light“ voran. So soll ein „Institut der Verantwortungsgemeinschaft“ eingeführt werden, um „jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen zu ermöglichen, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen“. Faktisch ist das die logische Fortführung der sogenannten „Ehe für alle“. Deren Kritiker hatten schon früher moniert, daß bei der Heirat gleichgeschlechtlicher Paare der eigentliche Sinn des in der Verfassung verankerten Eheprivilegs wegfalle, nämlich das Kinderkriegen und -großziehen. Warum sollten dann also nicht auch andere menschliche Gemeinschaften in den Genuß rechtlicher Privilegien gegenüber dem Finanzamt oder vor Gericht (Zeugnisverweigerungsrecht) kommen? Die klassische Familie ist zwar weiterhin der Regel- oder für die meisten Menschen hierzulande wenigstens der Idealfall; aber nicht im Sinne des „mehr Fortschritt wagen“ der Ampel-Koalition.

Natürlich wird auch die „bunte“ Zivilgesellschaft nicht vergessen. Erneut sollen zahlreiche Behörden, Bürokratieposten und Forschungsprojekte geschaffen werden, großzügig ausgestattet mit finanziellen Mitteln. Darunter fällt auch die Einrichtung einer „behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung“, die eine besondere Rechtsberatung „für queere Geflüchtete und andere vulnerable Geflüchtete umfassen soll“.

Zudem soll durch die „Förderung von Projekten gegen LSBTIQ*-Feindlichkeit in Bildungseinrichtungen“ in die Schulen hineingewirkt werden. Apropos Schulen: Will der Aktionsplan auch das Leistungsprinzip außer Kraft setzen? Immerhin fordert das Dokument, „bei der Ausgestaltung der Leistungen und der Erfüllung der Aufgaben die unterschiedlichen Lebenslagen von trans- und intergeschlechtlichen sowie nichtbinären jungen Menschen zu berücksichtigen“.

Stichwort Geld. 1,3 Millionen Euro vom Steuerzahler läßt sich die Bundesregierung die Förderung von „LGBTQ“-Projekten im Etat des Familienministeriums für das kommende Jahr kosten. 374.000 Euro „dienen dem Start des Aktionsplan-Prozesses für den Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“. Und in der nächtlichen Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses brachten die Berichterstatter der Ampel-Fraktionen sogar noch Anträge für die Förderung einzelner Unternehmen aus der „queeren“ Szene durch. So erhält die Pinkdot gGmbH „für die Stärkung von Projekten im Bereich LSBTIQ+ Kunst und Kultur“ im kommenden Jahr 885.000 Euro. Die gemeinnützige GmbH Pinkdot ist laut Eigenbeschreibung eine „Trägergesellschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Communitys zu stärken und zu unterstützen“. Ihre Arbeit „konzipiert sich inklusiv, intersektional und barrierearm“.

Daß „die Ampelparteien ohne Ausschreibung und ohne vorheriges Auswahlverfahren Gelder an explizit aufgeführte Firmen vergeben, ist ein Unding sondergleichen“, sagte die zuständige Berichterstatterin der AfD, Ulrike Schielke-Ziesing, der JUNGEN FREIHEIT. Damit zeige das grün regierte Familienministerium deutlich, wo die Prioritäten gesetzt würden: „Bei der Durchsetzung der eigenen grünen Agenda und bei der Förderung von Lobbyfreunden“. Daß die FDP diesen Irrsinn mitmache, „spricht Bände“, empört sich die Abgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern. 

Daneben stehen mögliche LGBTQ-Quoten im öffentlichen Dienst zur Diskussion. Eine „Diversitätsstrategie-Bund“ soll entwickelt werden, um „diversitätssensible Personalauswahlverfahren“ in der Verwaltung zu ermöglichen. Die zwangsweise „Implementierung der Vielfaltsthematik“ wollen die Verantwortlichen auch in der „militärischen Ausbildung“ durchsetzen. Überhaupt solle die „Aufklärungs- und Beratungskompetenz“ in der Bundeswehr gestärkt werden. Die Medizin bleibt ebenfalls nicht ausgespart. „Gendermedizin soll ausdrücklich in die Approbationsordnung für Ärzte aufgenommen werden“, heißt es etwa im Text. Zudem sollen nach den Vorstellungen des Bundesfamilienministeriums „die Kosten geschlechtsangleichender Behandlungen vollständig von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden“.

Druck auf die Union, um das Grundgesetz zu ändern

Interessant werden dürfte vor allem die „Prüfung der Erstellung eines Berichts der Bundesregierung, der die kriminalitätsbezogene Sicherheit von LSBTIQ* beschreibt“. Häufig berichten homosexuelle Menschen in Deutschland über massive Bedrohungen durch Personen aus dem islamischen Kulturkreis. Wird das im Bericht vorurteilsfrei untersucht werden? Besonders wichtig ist dem Queerbeauftragten offenbar die Änderung – die Befürworter sprechen lieber von „Anpassung“ – des Grundgesetzes. Mit einem um ein „explizites Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Identität“ erweiterten Artikel 3, so die dahinterstehende Motivation, könnten viele Maßnahmen von der Ehe für alle über das geänderte Familien- und Abstammungsrecht bis zum sogenannten Selbstbestimmungsgesetz faktisch nicht mehr rückgängig gemacht werden. 

Ob die dafür notwendige Zweitdrittelmehrheit im Bundestag steht? Lehmann hofft, ja. In der Ampel ist man sowieso dafür, bei der Linken größtenteils auch. Das dürfte vor allem den moralischen Druck auf die Union verstärken. Knickt die Partei unter den Vorwürfen „Transphobie“ und „Queerfeindlichkeit“ ein? Bezüglich der notwendigen Zustimmung aus dem Bundesrat ist der Staatssekretär jedenfalls optimistisch; hatte doch der mit den Grünen regierende Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst (CDU) bereits entsprechende positive Signale ausgesendet.