© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/22 / 25. November 2022

Den Druck mit Geld mindern
Migrationsabkommen: Großbritannien bezahlt Frankreich für verstärkte Grenzkontrollen und mehr Flüchtlingsunterkünfte
Friedrich-Thorsten Müller

Unter dem Eindruck explosionsartig steigender Zahlen illegaler Einwanderer haben sich die Regierungen von Frankreich und Großbritannien auf ein neues Migrationsabkommen geeinigt. 

Die Vereinbarung wurde Mitte des Monats in Paris von Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin und seiner britischen Amtskollegin Suella Braverman unterzeichnet. Das Abkommen sieht vor, daß Frankreich von Großbritannien für 2022 und 2023 als Gegenleistung für verstärkte Grenz- und Küstenkontrollen 72,2 Millionen Euro erhält. Im Gegenzug werden 350 weitere Polizisten eine etwa 150 Kilometer lange Küstenlinie um Calais und Dünkirchen überwachen, mit dem Ziel, die Passagen mit Schlauchbooten über den Ärmelkanal zu unterbinden. 

Auch britische Beamte werden als Beobachter an der Maßnahme beteiligt sein. Insgesamt steigt so die Zahl der Polizeibeamten für diese Sonderaufgabe an der Küste um 40 Prozent. Ein weiterer Baustein des Abkommens ist die Finanzierung von Migranten-Unterkünften in Südfrankreich, um Flüchtlinge, die über das Mittelmeer kommen, von der Weiterreise nach Calais abzuhalten.

Die Zahl der illegalen Migranten, die per Boot die Meerenge überwanden, ist in den letzten drei Jahren stark angestiegen. Waren es 2019 noch 1.800 Einwanderer, stieg die Zahl 2021 auf 28.300. Dieses Jahr sind bis Oktober über 40.000 illegale Boots-einwanderer nach Großbritannien gekommen. 

Zuvor konzentrierte sich das Geschehen jahrzehntelang auf ein Versteckspiel in Lastkraftwagen, die per Fähre oder Zug im Eurotunnel den Ärmelkanal durchqueren.

Sowohl Großbritannien als auch Frankreich würden davon profitieren, wenn illegale Einreisen ins Vereinigte Königreich zukünftig unterbunden werden. Denn der Rückstau von meist Tausenden Migranten auf dem französischen Festland mit riesigen Zeltstädten, und im Stadtbild der Küstenstädte nicht übersehbarem Elend, ist für Paris ein großes innenpolitisches Ärgernis.

London wiederum kommt seit seinem EU-Austritt nicht mehr darum herum, sämtliche Asylanträge selbst zu prüfen. Außerdem wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, den London nach wie vor anerkennt, gerade ein von den Briten mit Ruanda abgeschlossenes Abkommen über die Rückführung abgelehnter Asylbewerber nach Afrika vorläufig gestoppt. Aus Platzmangel in den Städten sieht sich Großbritannien darum bereits gezwungen, Asylbewerber auch im ländlichen Raum zu verteilen, was ebenfalls für Unmut sorgt.

Und der Migrationsdruck steigt weiter, da die Schlauchbootpassagen mit 2.000 bis 4.000 Euro deutlich billiger angeboten werden, als dies bei den bis zu 20.000 Euro teuren Schmuggelfahrten per LKW der Fall war. Regelmäßige, vielfach auch tödliche, Schiffsunglücke in französischen und britischen Hoheitsgewässern sind ein weiterer Grund, dem Schlepperunwesen ein Ende zu bereiten. Laut Internationaler Organisation für Migration (IOM) sind seit 2014 mehr als 200 Menschen beim Versuch, den Ärmelkanal per Boot oder Tunnel zu überqueren, gestorben oder verschollen.

Die in diesem Jahr bisher größte Zahl illegaler Einwanderer kam aus Albanien. 12.000 vorwiegend junge Männer migrierten aus dem Balkanstaat allein über diese Route. Neben bereits dort lebenden Verwandten ziehen laxe Bedingungen für Arbeitserlaubnisse die Menschen an.

Auf wenig Gegenliebe stößt das Migrationsabkommen bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Steve Valdez-Symonds, Direktor für Flüchtlingsrechte, bezeichnete die Vereinbarung als „nutzlos“. „Die unausweichliche Folge sind noch gefährlichere Überfahrten und noch mehr Profit für skrupellose Schlepper“, gab er zu bedenken. Der neue britische Premierminister Rishi Sunak warnte am Rande des G20-Gipfels, von dem Abkommen „über Nacht Wunder zu erwarten“. Gleichwohl ist der Enkel indischer Einwanderer fest entschlossen, in Einwanderungfragen „klare Kante“ zu zeigen. Aber auch in Frankreich stehen die Zeichen weiter auf Abschottung. Bereits Anfang 2023 will die Regierung Macron ein neues Einwanderungsgesetz vorstellen, das Abschiebungen erleichtern soll.