© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/22 / 25. November 2022

Es wird viel teurer
Euro-Inflation: Das Weihnachtsfest wird eine ungesunde Angelegenheit – aber vor allem für den eigenen Geldbeutel
Paul Leonhard

Die Stollenpreise stehen seit Monaten fest. Auch die für Leb- und Pfefferkuchen, Marzipanriegel, Spekulatius und andere weihnachtliche Leckereien – zumindest in den Auslagen der Discounter. Mitunter ist es also doch ein Vorteil, wenn die Weihnachtssaison schon zum Sommerausklang Ende August beginnt und langfristige Lieferverträge gelten. So ist der große Preisschock in diesem turbulenten Inflationsjahr noch ausgeblieben. Auch die kleinen inhabergeführten Bäckereien müssen sich diesen Preisvorgaben bei Rosinen-, Mohn- und Mandelstollen oder Leipziger Baumkuchen wohl oder übel anpassen, damit nicht die langjährige und treue Kundschaft – lokale Tradition hin oder her – nicht komplett und endgültig in den Supermarkt abwandert.

So wird der ein Kilo schwere „Original Dresdener Rosinenstollen“ aus dem traditionellen Handwerksbetrieb im Geschenkkarton für 21,95 Euro angeboten. Nur bei einigen Discountern ist ein „Dresdner Christstollen“ von Großbäckern immer noch für 7,99 Euro zu haben – lediglich 70 Cent mehr als 2020. Und da die gestiegenen Energie- und Lohnkosten nicht einfach an die Kunden weitergegeben werden können, wird an anderer Stelle gespart. Die Städte verzichten auf Weisung der Bundesregierung auf ihre Adventsbeleuchtung, die Weihnachtsmärkte schrumpfen – auch weil viele Standbetreiber kein Personal finden oder bezahlen können.

Augsburgs Bäckereien backen in diesem Jahr weniger Plätzchensorten – auch das reduziert die enorm gestiegenen Rohstoff- und Energiekosten. Und Bernhard Kuhn, Obermeister der Bäcker-Innung Heilbronn, weiß zu berichten, daß sich einige Bäckereien dazu entschieden haben, dieses Jahr auf Weihnachtsgebäck und Stollen zu verzichten, weil sie es ihren „Kunden nicht zumuten wollen, die erforderlichen Preise zu bezahlen“. Wer glaubt, mit dem faktischen Ende der Corona-Pandemie gibt es eine Rückkehr zu „alten Zeiten“, wird von der an ihrer eigenen Energiepolitik samt Sanktionsauflagen verzweifelnden Bundesregierung eines Besseren belehrt.

Wenn in der Ukraine das Abendland verteidigt werden muß, warum soll den Deutschen dann ein besinnliches Weihnachtsfest gegönnt sein, was ohnehin in einem gegenüber anderen Religionen so toleranten Land ein Auslaufmodell sein dürfte. Und das Klagen über den immer teurer werdenden Christstollen ist schon zu einem Ritual geworden, was alljährlich im Juni beginnt, wenn die Bäcker die Preise der Zutaten abfragen, die sie aus fernen Ländern importieren müssen. So sind Premium-Sultaninen und -Rosinen aus Australien und Südafrika auf dem globalen Markt kaum mehr im Angebot und wenn, dann unbezahlbar.

Von der DDR-Mangelwirtschaft „lernen“: Sparen bei den Zutaten?

Auch Mandeln, Orangeat und Zitronat sind teurer geworden – Bäcker in den neuen Ländern dürften verzweifelt nach den Backrezepten ihrer in der Mangelgesellschaft DDR großgewordenen Vätern suchen. Nicht selten wurde damals statt Butter Margarine verwendet, auf Rum verzichtet, Zitronat und Orangeat durch künstliche Aromen ersetzt. Mandeln und Rosinen waren ohnehin Mangelware, und auch auf das Bestreichen mit Butter wurde verzichtet. Und manch DDR-„Marzipanstollen“ hätte eigentlich „Persipanstollen“ heißen müssen – die Mandeln aus dem „nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet“ (NSW) wurden dabei durch Pfirsich- oder Aprikosenkerne ersetzt.

Der Preis für das Kilo Butter ist übrigens gegenüber dem Vorjahr von 3,75 auf rund neun Euro gestiegen – und das bei einem Butteranteil von 50 Prozent bezogen auf das Mehl, für das sich der Preis verdoppelt hat. Zucker liegt derzeit bei 90 Prozent plus. Glück hat hingegen, wer Verträge mit türkischen Zulieferern geschlossen hat, die sich in Krisenzeiten als zuverlässig erweisen. Das betont Karl-Heinz Hartmann, Geschäftsführer der Sächsischen und Dresdner Back- und Süßwaren GmbH in Radebeul. Hier werden täglich rund 3,5 Tonnen Stollenkonfekt hergestellt und ausgeliefert – zu Preisen, die bereits zu Jahresbeginn ausgehandelt wurden.

Bäcker im Direktverkauf kalkulieren dagegen bis zuletzt. Wer beispielsweise bei der Dresdner Konditorei-Dynastie Kreuzkamm seinen Striezel erwirbt, weiß, daß er etwas tiefer in die Tasche greifen muß. „Es wird teurer“, hat Elisabeth Kreuzkamm-Aumüller, Geschäftsführerin des Dresdner Backhauses, schon im Sommer prophezeit und auf gestiegene Energie- und Rohstoffpreise verwiesen. Allein die Preise für die Verpackung seien um das Zwei- bis Dreifache gestiegen. Verkaufspreissteigerungen um 20 Prozent beim Stollen hält Andreas Wippler vom Schutzverband Dresdner Stollen mit rund 100 Mitgliedsfirmen für erforderlich. Ob sie am Markt umsetzbar sind, sei eine andere Frage, so Wippler.

Kreuzkamm-Aumüller rechnet mit Einbußen im Stollengschäft, aber ob es zu diesem tatsächlich kommt, werden die kommenden Wochen zeigen. Derzeit scheint es eher so, als wollten sich die Deutschen zum anstehenden Weihnachtsfest noch einmal richtig etwas leisten, bevor im kommenden Jahr das ganze Land vielleicht im Dunklen versinkt oder ihnen immer neue staatliche Gesetze vorschreiben, wie sie zu leben und was sie zu essen haben.

Das trifft auch für Gänse, Enten und Puten zu. Hier sind die Preise explodiert, weil Ungarn als traditioneller Lieferant nach Deutschland wegen einer Tierseuche massenhaft Federvieh keulen mußte. Profiteur sind die polnischen Züchter, die sich vor Nachfragen kaum retten können – und so höhere Preise durchsetzen können. Stabil dagegen scheint die Lage beim Karpfen zu sein – zumindest gibt es, abgesehen von den Oderfischern, noch keine Schreckensnachrichten aus den Teichgebieten mit ihren Fischzuchten.

Die Stollensaison in Sachsen hat übrigens allem drohenden Ungemach zum Trotz wie gewohnt schon Anfang Oktober mit dem Anschnitt eines Riesenstollens in Dresden durch das nunmehr 28. Stollenmädchen begonnen. Qualifiziert hat sich dafür die 17jährige Salome Selnack, aufgewachsen in einer Bäckerfamilie mit sorbischen Wurzeln und derzeit Lehrling in der Bäckerei und Konditorei Donath im Dresdner Stadtteil Klotzsche. Zum Glück wurde sie bei ihrer Amtseinführung nicht nach den Herstellungskosten des anzuschneidenden Striezels gefragt, sondern lediglich danach, wo er anzuschneiden ist. Aber die Frage hatte auch Karoline Marschallek, Geschäftsführerin des Stollenschutzvebandes gestellt und so war die Antwort ganz einfach: „In der Mitte.“

Schutzverband Dresdner Stollen: www.dresdnerstollen.com