© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/22 / 25. November 2022

„Unüberbrückbare Differenzen“
Wissenschaft: Wer sich nicht im Zeitgeist äußert oder in der falschen Partei ist, muß mit Ausgrenzung und wirtschaftlichen Nachteilen rechnen
Jörg Fischer / Martina Meckelein

Die Bonner Politikprofessorin Ulrike Guérot ist jahrelang im Zeitgeist gesegelt: Als progressives CDU-Mitglied studierte die Rheinländerin in Frankreich, arbeitete im EU-Parlament und für den European Council on Foreign Relations, sie gründete das European Democracy Lab, das unter anderem von der EU und den Stiftungen des US-Investors George Soros gefördert wurde. 2013 veröffentlichte Guérot mit dem linksliberalen Wiener Schriftsteller Robert Menasse ein Manifest zur „Gründung einer Europäischen Republik“ – eine Art Gegenentwurf zum national geprägten „Europa der Vaterländer“ mit eigener Souveränität und Währung.

Im gleichen Jahr tat der VWL-Professor Reiner Osbild das Gegenteil: Er trat in die AfD ein, um genau das zu verhindern. Neun Jahre später müssen aber beide feststellen, daß sie mehr gemein haben, als ihnen lieb ist: Ihre Universitäten distanzieren sich von ihnen, weil „Aktivisten“ und Medien heftige Kritik an ihren Thesen üben. In einer „Stellungnahme zu öffentlichen Äußerungen eines Mitglieds der Universität“ betont die Leitung der Universität Bonn, ohne Guérot namentlich zu nennen, „an der Seite des ukrainischen Volkes“ zu stehen und sich an „den von den deutschen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen vereinbarten Sanktionen“ zu beteiligen. „Spekulative, nicht wissenschaftlich belegbare Behauptungen“ seien „zu unterlassen“.

„Da geht es nicht um Geld, sondern um Reputation“

Guérot hatte sich zuvor mehrfach „verständnisvoll“ über Rußland geäußert und in ihrem Buch „Wer schweigt, stimmt zu“ die Corona-Politik heftig kritisiert. Osbild, der auch schon für die JF geschrieben hat, wurden hingegen migrationskritische und bibeltreue Aussagen zum Verhängnis: Er trete „seit längerem mit sehr zugespitzten und häufig polemischen Äußerungen“ an die Öffentlichkeit und nehme damit „billigend, vielleicht sogar bewußt in Kauf, mit den von ihm geäußerten Ansichten auf erheblichen Gegenwind innerhalb und außerhalb der Hochschule zu stoßen“, schrieb die Leitung der Hochschule Emden/Leer. Osbild müsse es eben aushalten, „wenn seine Äußerungen Diskussionen und auch Demonstrationen auslösen“. Der einzige Unterschied: In Bonn waren es vor allem Studentenvertreter, die gegen Guérot agitierten – in Emden waren es pensionierte Lehrer, und Professoren sowie rot-grüne Stadtratsmitglieder, die gegen den „rechtsradikalen AfD-Professor“ und „christlichen Fundamentalisten“ (Zitat von einem verteilten Flugblatt) aktiv wurden.

Osbild kann dennoch weiter unterrichten, seine Studenten stehen zu ihm – anders als beim einstigen AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke, dessen Rückkehr 2019 zum Spießrutenlauf eskalierte. Guérot hat mit dem Geopolitikautor Hauke Ritz im linken Westend-Verlag sogar ein neues Buch herausgebracht: „Endspiel Europa“, wo beide den Ukraine-Konflikt als Stellvertreterkrieg der USA gegen Rußland beschreiben, der die amerikanische Dominanz ist Europa verfestigen soll.

Nächster Fall: Daniel Zerbin diente als Offizier der deutschen Militärpolizei mehrfach in Afghanistan und war Sicherheitschef der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Als Hochschulprofessor für Kriminalwissenschaften war Zerbin bundesweit anerkannt – bei seinen Kollegen, bei renommierten Verlagen und in der Presse. Bis er in einem Buch als Beispiel für eine offene Überschneidung zwischen polizeilichen Strukturen und dem rechten Rand bezeichnet wird.

 Die Folge: Er verliert seine Reputation. Die Jagd auf Konservative in Hochschulen, die Ausgrenzung bis hin zur Existenzvernichtung hat Methode. Die Täter scheinen die Stasi-Richtlinie 1/76, die Anleitung zur Zersetzung, aus dem Effeff zu beherrschen. Und sie scheinen sich untereinander zu kennen. Ein Netzwerk, eine linke Clique im Wissenschaftsbetrieb. „Ich war völlig überrascht“, schildert Zerbin gegenüber der JF den Tag, als sein Telefon klingelt und sich der Beck Verlag meldet. „Sie sagten mir, daß mein Buchvertrag aufgehoben werden soll. Meine Mitautoren wären an einer Zusammenarbeit mit mir nicht mehr interessiert.“ Zerbin arbeitet an der Northern Business School (NBS), einer 2007 gegründeten privaten Hochschule in Hamburg und als Lehrbeauftragter für die Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV).

„Als Wissenschaftler sind sie natürlich verpflichtet, zu veröffentlichen. Da geht es nicht um Geld, sondern um Reputation.“ Was ihn stutzig machte war, daß die eine Co-Autorin eine langjährige Freundin von ihm war. „Ich konnte das erst gar nicht verstehen“, sagt Zerbin. „Sie war ja auf mich zugegangen, hatte mich ja darum gebeten in ihr Buchprojekt einzusteigen und es nach der weiteren Auflage ganz zu übernehmen.“ Gemeldet hat sich die NRW-Kriminaldirektorin a.D. bis heute nicht. Dafür der Verlag; der schickte ein Kündigungsschreiben wegen „unüberbrückbarer Differenzen“ zwischen ihm und seinen Mitautoren. Man sei sich einig, daß „Sie aus dem Autorenteam der Werke P./W./Zerbin, Kriminalwissenschaften I und P./Zerbin, Kriminalwissenschaften II ausscheiden werden“.

Ist die AfD-Mitgliedschaft der wahre Grund der Ausgrenzung?

Zerbin ist sich sicher, daß diese Kündigungswelle im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Buches „Die Polizei – Helfer, Gegner, Staatsgewalt“ steht. Die Autoren: Tobias Singelnstein, seit April Professor Kriminologie an der Goethe-Uni Frankfurt, und sein ehemaliger Uni-Assistent, der Rechtsanwalt Benjamin Derin. Erschienen ist es im Econ Verlag. „Mangelnde Fehlerkultur und Transparenz, Gewalt und Rassismus prägen die Arbeit der Polizei“, heißt es im Klappentext. Jahrelang forschte Singelnstein im Projekt „Körperverletzungen im Amt durch Polizeibeamt*innen“ (KviAPol) an der Ruhr Uni Bochum – was nicht nur bei Polizeigewerkschaften auf Kritik stieß. Selbst Thomas Wüppesahl, Chef der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten, fragte nach der Lektüre von Singelnsteins Forschungsprojekt 2019: „Wo sind die News?“ und weiter: „Die Realitäten sind seit mindestens 30 Jahren bekannt.“

 „Was ich nicht verstehe“, sagt Zerbin, „Singelnstein hat mich zuvor niemals kontaktiert. Er hat mich auch nicht über das Erscheinen des Buches und meine Namensnennung informiert“. Aber das ist nicht alles. Denn inhaltlich geht Singelnstein überhaupt nicht auf Zerbins Arbeit als Hochschulprofessor ein. Wie könnte er auch? Zerbin hat schließlich sein Handwerk von der Pike auf gelernt; er hat selbst eine 14jährige Karriere bei den deutschen Sicherheitsbehörden vor seiner Hochschultätigkeit vorzuweisen. Singelnsteins Kritik, so scheint es, richtet sich einzig gegen Zerbins politisches Engagement: Er ist 2016 von der CDU zur AfD gewechselt. Und seit 2022 ist er zudem NRW-Landtagsabgeordneter und Vorsitzender im dortigen Wissenschaftsausschuß.

Die JUNGE FREIHEIT fragte bei Singelnstein nach, wollte wissen, ob er sich inhaltlich mit der Arbeit von Professor Zerbin auseinandergesetzt habe? Ob Zerbin, sei es in den Vorlesungen, seinen Büchern, öffentlichen Auftritten oder in dem Interview gegenüber Compact, rechtsradikale oder rechtsextreme Thesen bzw. Ansichten vertritt? Und ob Singelnstein während der Arbeit an seinem Buch Professor Daniel Zerbin kontaktiert und ihn um eine Stellungnahme gebeten habe? Professor Singelnstein hat nicht geantwortet.

Auch bei der Hochschule Emden/Leer fragte die JF nach: Hat sich ein Student darüber beschwert, von Professor Osbild schlechter benotet worden zu sein, weil er nicht christlichen Glaubens ist oder weil er „gegendert“ hat? Agitiert Professor Osbild in Forschung und Lehre für seine religiösen Überzeugungen? Beeinträchtigen Osbilds politische Überzeugungen seine Lehre und Forschung? Doch die Hochschulleitung wollte sich zu „Personalangelegenheiten“ nicht weiter äußern. Osbild versicherte gegenüber der JF, daß er sein AfD-Engagement und seine Lehrtätigkeit immer streng getrennt hat.

Reiner Osbild: „Hat bewußt in Kauf genommen, mit seinen Ansichten auf Gegenwind innerhalb und außerhalb der Hochschule zu stoßen“

Daniel Zerbin: „Sie sagten, daß mein Buchvertrag aufgehoben wird. Die Mitautoren wären an einer Zusammenarbeit nicht interessiert“