© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/22 / 25. November 2022

Bretonische Identität
Ausstellung: Das Museum der Bretagne spürt den Verbindungen zwischen der keltischen Kultur und der Geschichte der Region nach
Karlheinz Weißmann

Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an den diesjährigen Beitrag der französischen ESC-Kandidaten Alvan & Ahez. Denn der wies eine ganze Reihe von Besonderheiten auf: die Sprache war Bretonisch, nicht Französisch, die komplizierten Muster auf den Kostümen gingen auf die Tracht des bretonischen Finistère zurück, und während des Auftritts zeigte die Lichtinszenierung immer wieder ein Symbol: die Triskele. Dieses Symbol und die Bretagne gehören heute so selbstverständlich zusammen, daß der „Dreifuß“ einem in allen möglichen Varianten begegnet, sobald man die Halbinsel erreicht: vom Schmuckstück bis zur Warenmarke, vom Aufkleber bis zum Parteiabzeichen, vom Exlibris bis zum architektonischen Element. Fragt man einen Bretonen, was es damit auf sich habe, wird er einem aller Wahrscheinlichkeit nach erklären, daß die Triskele das „Wappen“ der Bretagne sei und auf deren keltische Wurzeln hinweise.

Auch die aktuelle Ausstellung des Musée de Bretagne in Rennes wollte nicht auf diesen Blickfang verzichten, den Titel „Celtique“ hat man allerdings um ein Fragezeichen ergänzt. Was damit zum Ausdruck gebracht werden soll, macht man dem Besucher gleich zu Anfang durch den Hinweis deutlich, daß der Triskell zwar zweifellos seit der Latènezeit (etwa vom 5. bis zum 1. Jahrhundert vor Christus) eine erhebliche Rolle in der keltischen Emblematik spielte, aber eben auch in anderen antiken Kulturen des Mittelmeerraums auftrat und kein Spezifikum jener Völker keltischer Kultur war, die damals einen erheblichen Teil Festlandseuropas und der Britischen Inseln beherrschten.

Tatsächlich begann die „Karriere“ der Triskele erst in den 1920er Jahren, als es sich eine Reihe von bretonischen Künstlern zum Ziel setzte, einen „bretonischen Stil“ zu kreieren. Sie griffen dabei – ein Schwerpunkt der Ausstellung – auf Vorbilder aus jenen Gebieten zurück, die sich schon seit dem 18. Jahrhundert ihrer keltischen Wurzeln besonnen hatten. Das betraf neben Schottland und Irland vor allem Wales. Nur in Irland hatte der „Keltismus“ von Anfang an eine ausgesprochen politische Dimension, in Schottland und Wales ging es in erster Linie um Fragen kultureller Selbstbehauptung, vor allem den Schutz der eigenen – keltischen – Sprache gegenüber dem Englischen.

Die Nähe zwischen dem Walisischen und dem Bretonischen tat ein übriges, daß man in der Bretagne nach dem Muster von Wales ein neues Druidentum kreierte, systematisch an die Sammlung traditioneller Erzählungen und Lieder ging, die Volksüberlieferung zu erhalten oder wiederzubeleben suchte und einen „Mythos des woher“ (Robert Michels) entwarf, für den König Artus und Merlin und der Wald von Brocéliande ebenso eine Rolle spielten wie die Erzählung von der sagenhaften Stadt Ys oder die Sonderentwicklung der bretonischen Kirche mit ihren zahllosen (in Rom niemals kanonisierten) Heiligen, in deren Legenden immer sehr alte heidnische Überlieferungen nachwirkten.

Der Erfolg dieser „Bretonischen Renaissance“ war groß. Was auch damit zu tun hatte, daß er einerseits auf die hergebrachte Zurücksetzung der Bretonen durch den französischen Zentralstaat, andererseits auf den außerordentlichen Blutzoll reagierte, den die Bretonen im Ersten Weltkrieg geleistet hatten. Jetzt kam es in Teilen der Bewegung auch zu einer Politisierung, die das keltische Erbe als Grundlage einer neuen – entweder regional oder national verstandenen – Identität betrachtete. Zusammenhänge, die die Ausstellung in Rennes fast vollständig ausspart. Nur kursorisch wird auf die Entstehung einer separatistischen Strömung hingewiesen, die zwischen eher linken, eher konservativen und eher faschistischen Positionen schwankte und nach der Besetzung Frankreichs durch die Wehrmacht mit der Idee liebäugelte, unter deutschem Schutz einen unabhängigen bretonischen Staat zu errichten.

Das blieb zwar Episode, und die Bretonische Bewegung stand nach der Befreiung lange unter dem Verdacht, ein Hort von Kollaborateuren zu sein. Trotzdem kam es bis Ende der 1940er Jahre zur raschen Wiederbelebung der kulturellen Zirkel, der Instrumentalensembles – der „bagades“ –, der Chöre, der Trachten- und Brauchtumsgruppen, und zur Verfestigung eines Sonderbewußtseins, das im Zweifel dem Bretone-Sein gegenüber dem Franzose-Sein Vorrang einräumte. In Rennes wird dieser „Regionalismus“ mit einer ganzen Reihe von Exponaten illustriert, aber die Anziehungskraft bleibt für den Betrachter ebenso rätselhaft wie die Tatsache, daß die linke Welle, die in den sechziger Jahren auch die Bretagne erfaßte, lediglich zu einem Formwandel, nicht zur Zerstörung dieser Bewegung führte. Ein neuer bretonischer Nationalismus verband sich jetzt mit anarchistischen oder sozialistischen Ideen, gleichzeitig gewannen ökologische Vorstellungen und Ideen einer Art kultureller Graswurzelrevolution an Einfluß, die die Bretagne mit einem ganzen Netz von Initiativen und örtlichen Schwerpunkten überzog, die sich vor allem der Pflege und Erhaltung der Sprache widmeten.

Eine der wichtigsten Stimmen dieser bis dato letzten „Bretonischen Renaissance“ war der Sänger Alain Stivell, Vertreter einer Art von bretonischem Folk Rock. Ihm hat man die Schirmherrschaft der Ausstellung in Rennes übertragen. In deren vorletztem Raum wird ein Film-Interview mit Stivell gezeigt, der hager, das graue Haar immer noch zum Pferdeschwanz gebunden, dasitzt und die Fragen zweier Journalisten beantwortet. Denen geht es erkennbar darum, die Generaltendenz der Ausstellung zu bestätigen, also das Keltentum der Bretonen als Konstruktion, letztlich als Erfindung, zu entlarven. Was Stivell in aller Ruhe abweist. So erklärt er an einer Schlüsselstelle des Gesprächs, daß er die elektroakustische Harfe nicht aus einer Laune heraus entworfen habe, sondern weil es ihm darum gegangen sei, als Kelte das keltische Erbe zu bewahren und zukunftsfähig zu machen, also als Kelte die Dinge auf die ihm gemäße – eben die keltische – Art und Weise zu tun. Währenddessen ruht Stivells Hand auf der großen silbernen Triskele, die er um den Hals trägt.


Die Ausstellung im Musée de Bretagne in Rennes, 10 Cr des Alliés, wird noch bis zum 4. Dezember täglich außer montags von 12 bis 19 Uhr gezeigt. 

 www.musee-bretagne.fr