© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/22 / 25. November 2022

Feindbildproduktionen aus der Blase
Ein Sammelband untersucht das Verhältnis von katholischer Kirche und Rechtspopulismus
Felix Dirsch

Auf der theoretischen Ebene ist „Populismus“ ein anspruchsvolles Phänomen. Die Kennerin Paula Diehl hebt die Mehrdimensionalität dieser Erscheinung hervor: Ideologie, Kommunikation und Organisation. In der publizistischen Praxis indessen ist dieser Begriff mehr und mehr zum Container aller möglichen Feindbestimmungen geworden: Als Populist gilt demnach unter anderem, wer die Destabilisierung des Rechts- und Sozialstaats durch unkontrollierte Masseneinwanderung ablehnt oder wer „Gender-Gaga“ als rein ideologisches Konstrukt betrachtet. Solche Zuschreibungen zeigen sich auch in einem neuen Sammelband. Die Autoren kommen zumeist aus dem überwiegend progressiven Milieu theologischer Fakultäten – stellvertretend sind die Namen Hans-Joachim Höhn, Magnus Striet und Ursula Nothelle-Wildfeuer zu nennen. Die zehn Beiträge reichen von dem allgemein gehaltenen Aufsatz („Volkes Stimme?“) über Populismus als „Sehnsucht nach Eindeutigkeit und Wahrheit“ bis zu angeblichen „Populistischen Radikalisierungs-tendenzen“. 

Einige Schlaglichter sind herauszugreifen: Sonja A. Strube erörtert den katholischen Antimodernismus. Dessen Höhepunkt ist im frühen 20. Jahrhundert anzusetzen. Die heutigen Erben, vor allem die Priesterbruderschaft Pius X. und die Ecclesia-Dei-Kommunitäten, interessieren sich stärker für liturgische Belange als für politische. Die Autorin muß deshalb einen schwammigen sozialpsychologischen Ansatz wählen, um einen Bogen zum Renovatio-Institut für kulturelle Resi-lienz zu schlagen. Diese Einrichtung rezipiert vor allem naturrechtliche und sozialethische Ansätze. Im Fazit landet die Theologin in dem eher wirren Beitrag bei den „bösen Buben“ Götz Kubitschek und Karlheinz Weißmann. Letzterer hat als Protestant mit katholischem Antimodernismus (auch sozialpsychologisch betrachtet) rein gar nichts zu tun. Besonders peinlich wirken die Ratschläge am Ende des Essays, etwa „Verschwörungsnarrative in den eigenen Reihen zu unterbinden“.

Auffallend ist die Unfähigkeit der Autoren, jenseits der üblichen Vorurteile sich mit der anderen Seite überhaupt auseinanderzusetzen. Zwei Sammelbände („Rechtes Christentum?“; „Nation, Eu-ropa, Christenheit“), die die Argumente rechter und konservativer Christen mosaikartig zusammenstellen, werden lediglich in einer Fußnote genannt. 

Der Publizist Andreas Püttmann macht radikal-populistische Tendenzen im katholischen Milieu aus. Als Beleg nennt er (neben anderen) die pointierte These des Politologen Konrad Löw von einer „deutsch-jüdischen Symbiose unterm Hakenkreuz“. Diese Aussage des Zitierten bezieht sich aber auf von ihm im Anschluß daran angeführte Belege aus dem Werk des verfolgten jüdischen Romanisten Victor Klemperer. Gewiß spitzte die weiter angeführte „Tätervolk“-Rede Martin Hohmanns aus dem Jahre 2003 zu. Mit Populismus hat beides aber nichts zu tun. Keine der erwähnten Persönlichkeiten appellierte an Stimmungen oder vereinfachte unzulässig. Der Verfasser dieser Zeilen hat vor einiger Zeit die Agenda globaler linksliberaler Eliten – unter anderem schrankenlose Abtreibungsrechte, Homosexuellen-Propaganda und Gender-Offensive – kritisiert. Prompt wird er in einem der Beiträge beschuldigt, „sexuelle Selbstbestimmung“ abzulehnen, die offenkundig zum neuen obersten Gebot des Katechismus mutiert ist.

Wie in den Endlosdebatten der letzten Jahre an katholischen wie evangelischen Akademien zur Thematik treten auch im vorliegenden Band die altbekannten „Experten und Expertinnen“ auf, die sich wechselseitig bestärken. Außer den immer wieder ventilierten Vorurteilen kommt dabei wenig heraus.

Ursula Nothelle-Wildfeuer, Magnus Striet (Hrsg.): Katholischer Rechtspopulismus. Die Kirche zwischen Antiliberalismus und Verteidigung der Demokratie, Verlag Herder, Freiburg 2022, broschiert, 264 Seiten, 32 Euro