© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/22 / 25. November 2022

Überforderte autonome Roboter
Bei der „Gefühlsarbeit“ in der Altenpflege scheitert die Mensch-Maschine-Kooperation
Martin Gross

Die Robotikforschung hat große Fortschritte gemacht. Ihre Erfolgsgeschichte ist für Michael Decker, Professor für Technikfolgenabschätzung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), am besten dokumentiert in den Jahresberichten der International Federation of Robotics (IFR). So kannte die Industrierobotik jahrzehntelang stets nur steigende Umsätze, bevor dann 2019 die Zahl der weltweit installierten Roboter erstmals unter 400.000 Einheiten sank.

Das sei jedoch ein temporärer, den „Marktherausforderungen“ in den Hauptbranchen Automobil und Elektrotechnik geschuldeter Einbruch gewesen. Im Vergleich damit blieben die Wachstumstrends in der Service-, in der Medizin- und Logistikrobotik nicht nur stabil, sondern versprechen zukünftig auch bedeutende Zuwächse. Was hier möglich sein soll, zeige der 2019 um 34 Prozent auf 23,2 Millionen Einheiten gestiegene Absatz von privaten Haushaltsrobotern (Soziologische Revue, 2/22).

Intelligenz oder Bewußtsein vorerst nicht von KI-Robotern realisierbar

Daß Roboter in immer mehr Lebensbereiche vordringen, ist für Decker Resultat einer intensiven Forschung, die in der Industrierobotik für einen „wahren Innovationsschub“ in Richtung flexibler Systeme gesorgt habe. In Montagehallen tätige Roboter sind keine „einfachen“ Maschinen mehr, die in hohen Taktraten Schweißpunkte setzen und dabei höchste Fertigungsgeschwindigkeiten erreichen. Die „Industrie 4.0“ verlange humanoide Roboter, die die effiziente Mensch-Maschine-Kooperation in unterschiedlichen Handlungszusammenhängen ermöglichen. In der individuellen Fertigung muß der Roboter mit mehreren Menschen harmonieren und sich eigenständig an Körpergröße, Armreichweite und typische Bewegungsabläufe seiner „Mitarbeiter“ anpassen. Mittelfristig sei der teil-autonome Einsatz das Ziel, mit der auf Künstliche Intelligenz (KI) gestützter Entscheidungsfindung.

Decker warnt indes davor, KI zu überschätzen. Denn Entscheidungsfähigkeit, Metakognition, generelle Intelligenz oder Bewußtsein, wie wir sie von Menschen kennen, „sind in der überschaubaren Zukunft nicht von Robotern realisierbar“. Trotzdem dürften ihre Potenzen auch nicht unterschätzt werden. So seien beispielsweise KI-gestützte Algorithmen Ärzten in der medizinischen Auswertung von Röntgenbildern klar überlegen. Die verantwortliche Entscheidung über die therapeutischen Konsequenzen der Diagnose bleibt jedoch beim Menschen. Die Kooperation Mensch – Maschine laufe also systemlogisch auf eine Konfrontation zwischen dem autonomen Menschen und der technisch autonomen Robotik hinaus.

Beim autonomen Fahren sind die moralischen Dilemmata, die sich in Entscheidungssituationen aus der Konstellation Mensch und Roboter ergeben, bislang am sichtbarsten geworden. Das „Trolley-Problem“ ist hier das prominenteste Beispiel: Soll ein technisches System so programmiert werden, daß es einen Unfall, den es nicht mehr verhindern kann, durch eine schnelle Richtungsänderung noch derart beeinflussen, daß eine Gruppe von drei zuungunsten von zwei Menschen verschont wird? Die Ethikkommission, die 2017 das Bundesverkehrsministerium zu solchen Aporien beraten hat, wies jedenfalls ausdrücklich darauf hin, daß diese Art von Abwägungen nicht an ein technisches System übertragen werden sollte. Überhaupt sei „starke Autonomie“ für Roboter nicht erstrebenswert. Im Gegenteil: Sie würde gerade das konterkarieren, was etwa Service-Robotik leisten soll, da ein autonomer Roboter, der eigene Interessen verfolgt, letztendlich seine Dienste auch verweigern könnte. Der „Mittel zum Zweck“-Charakter des technischen Geräts wäre damit schlichtweg nicht mehr gegeben.

Auf dem Anwendungsfeld der Altenpflege werden Grenzen autonomer Roboter nicht durch den Menschen gesteckt, sie ergeben sich aus der Natur der Sache. „Gute Pflege“, die in alternden Gesellschaften des globalen Nordens immer stärker nachgefragt wird, ist „Gefühlsarbeit“ im Sinne des kontinuierlichen Herstellens von Kooperationsbeziehungen zwischen Menschen und Maschine, die weitaus komplexer sind als die, mit denen es die Industrierobotik zu tun hat. Pflege stelle daher eine echte inhaltliche, kaum zu meisternde Herausforderung für die Servicerobotik dar. Es sei darum nicht erstaunlich, wenn selbst im technologisch fortschrittlichen Japan, das wegen seiner demographischen Malaise früh den Einsatz von Pflegerobotern forcierte, die seit zehn Jahren propagierte „Robot-Revolution“ bislang ausgeblieben ist: weil Japans Senioren sich nicht ausschließlich von Maschinen betreuen lassen wollen.

 ifr.org