© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/22 / 25. November 2022

Klingeling ... aus dem Weg
In den Großstädten etabliert: Lastenräder werden immer größer
Paul Leonhard

Sie ist noch immer der Hingucker: die Frau in den Dreißigern, die selbstbewußt und scheinbar mühelos mit zwei Kindern und dem Wochenendeinkauf im und auf dem Lastenrad über die Straßen der Großstadt schwebt. Zumindest wenn man nicht selbst im Auto oder auf dem Fahrrad sitzt, denn dann ist die seit einigen Jahren im Verkehrsalltag stetig anwachsende Zahl an XXL-Lastenfahrrädern – 2020 wurden erstmals mehr als 100.000 verkauft – ein zusätzliches Ärgernis, aber auf keinen Fall „Alltagserleichterer und urbanes Kultobjekt“, wie es die Werbung verspricht.

Obwohl, kultig sehen einige der Fahrzeuge durchaus aus. Dreiräder beispielsweise mit riesigen Aufbauten, in denen gekühlte Ware quer durch die Stadt geliefert wird – auch über Fußwege und Trampelpfade. Und sie werden für die Auslieferung genauso verkehrsbehindernd abgestellt, wie es die Städter von den motorisierten Paketauslieferern gewohnt sind. Wer sich darüber ärgert, sei damit getröstet, daß Lastenfahrräder immerhin im Vergleich zu Diesel-Lieferwagen 90 Prozent CO2-Emissionen einsparen und gleichzeitig in den Stadtzentren rund 60 Prozent schneller zustellen. Überdies hat der Gesetzgeber reagiert: Es gibt ein neues Verkehrszeichen, das extra für Lastenräder reservierte Parkflächen ausweist.

Für die XXL-Gefährte gibt es bereits eigene Stellplätze

Es gibt Lastenräder mit zwei oder drei Rädern. Erstere sind schneller, auch weil sie sich leichter an den Staus vorbeilenken lassen. Andererseits sind sie bei zuviel Zuladung schwerer auszubalancieren. Dreirädrige dagegen vermitteln ein stabiles Fahrgefühl, kippen weder im Stand noch bei niedriger Geschwindigkeit um, haben mehr Stauraum. Dafür sind sie breiter und langsamer, wobei letzteres natürlich durch einen zuschaltbaren Elektromotor ausgeglichen werden kann.

Es hat lange gebraucht, bevor es der Bewohner deutscher Städte gewagt hat, sich die asiatische Erfindung des zweirädrigen Packesels kulturell anzueignen, und längst schafft er es nicht, die Gefährte wie in Asien üblich tatsächlich maximal auszulasten. Fotos von kunstvoll in luftige Höhen gestapelten Säcken, Autoreifen oder anderen Waren auf Fahrrädern stammen noch immer nicht aus Berlin oder Hamburg. Und als die ersten Fahrradrikschas in den Innenstädten auftauchten, mußten die Deutschen schon ihre koloniale Scheu überwinden, sich von einem „Kuli“ durch die Fußgängerzonen fahren zu lassen. Als Tourist selbstverständlich und nicht, um sich einschließlich des Wochenendeinkaufs umweltbewußt nach Hause kutschieren zu lassen – was angesichts des hohen Anteils von Migranten, die hierzulande in die Pendale treten, schon wieder ein Geschmäckle hätte.

Das auf deutschen Straßen häufig zu sehende zweirädrige Modell „Long John“ wurde bereits vor hundert Jahren in Kopenhagen entwickelt und gilt trotz seines verlängerten Radstandes als leicht fahrbar, selbst wenn die zwischen Lenker und Vorderrad befindliche Ladefläche mit den zulässigen maximal 150 Kilogramm gefüllt ist. Viele Brief- und Paketzusteller schwören dagegen auf ein Modell mit tiefem Einstieg und hoher Stabilität. Hier ist die vor dem Lenker plazierte Ladefläche mit dem Rahmen verbunden. Meistens ist das Vorderrad kleiner als das Hinterrad. Damit bleibt der Schwerpunkt niedrig und der Blick des Fahrers wird nicht gestört. Zusätzlich gibt es einen hinteren Gepäckträger.

Und kein Zweifel, es steht eine Revolution bevor: Denn zwar haben sich die Grünen mit ihrer Forderung nach Fahrradwegen weitgehend durchgesetzt, sogar die ersten Fahrradautobahnen sind im Bau, aber sie sind schon vor ihrer Fertigstellung nicht mehr zeitgemäß. Denn wenn der Trend anhält, sind diese Wege viel zu schmal. Lastenräder sind viel länger und breiter als gewöhnliche Fahrräder. So wird die Fahrradlobby bald neue Forderungen aufstellen: getrennte Fahrradwege für Normal- und Lastenverkehr. Noch müssen Lastenradler eigentlich den Radweg nutzen. Sie dürfen nur auf die Fahrbahn ausweichen, wenn es unzumutbar ist, auf dem Radweg zu fahren – zum Beispiel, wenn dieser für das jeweilige Lastenrad nicht breit genug ist. Ansonsten droht ein Bußgeld ab 20 Euro.

Da Lastenräder ein teurer Spaß sind, gibt es diverse Förderprogramme der Länder und einzelner Kommunen. So fördert das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle die Anschaffung von elektrisch unterstützten „Schwerlastenfahrrädern“, indem es diese mit bis zu 2.500 Euro bezuschußt.