© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/22 / 02. Dezember 2022

Unmut an allen Ecken
Niederlande: Selten war die Stimmung in den Niederlanden so explosiv
Mina Buts

Kaum gewinnt Marokko gegen Belgien bei der Fußball-WM, brennen Autos nicht nur in Brüssel, sondern auch in Amsterdam, Rotterdam und Den Haag. Begeisterte marokkanische Fans hatten eben eine besondere Art, ihrer Freude europaweit Ausdruck zu verleihen. Nur wenige Tage zuvor haben wütende Dorfbewohner von Staphorst bei Overijssel beim festlichen Einzug des Nikolaus und seinen Helfern die selbsternannten Aktivisten von „Kick Out Zwarte Piet“ mit Eierwürfen und Feuerwerkskörpern vertrieben und das Banner der Gruppe verbrannt. Ein Kleinwagen angereister Beobachter von Amnesty International wurde dabei demoliert und dürfte für ein juristisches Nachspiel sorgen. 

In der gleichen Woche waren Hunderte aufgebrachte Bauern mit ihren Traktoren in Zwolle, um dem Regierungsbeamten Andries Heidema eine Protestnote zu überreichen. Diese erwarten nämlich wegen Überschreitung der Stickstoffobergrenzen hohe Bußgelder. Sie fürchten zu Recht um ihre Existenz und fordern eine sofortige Rücknahme. Andernfalls, so die Drohung der Bauern, könne zeitnah mit heftigsten Protesten gerechnet werden. Die Bilder von brennenden Heuballen und kilometerlangen Staus bei sengender Hitze dürften jedem noch gut in Erinnerung sein. Zeitgleich verlangt die linksliberale Partei D66 erste Verbote von Organisationen, wie dem von Thierry Baudet geführten rechten Forum für Demokratie 

Selten war die Stimmung in den Niederlanden so explosiv. Was ist passiert in diesem liberalen Hort Europas?

Mark Rutte ist der am längsten amtierende Ministerpräsident mit einer immer weiter sinkenden Unterstützung aus der Bevölkerung. Keiner hat es bis dato gewagt, die bürgerlichen Freiheiten so weit einzuschränken: nächtliche Ausgangssperren bei Corona, Feuerwerksverbote zu Silvester, Untersagung von Osterfeuern ab dem kommenden Jahr. Niemand hat aber auch so viele Skandale ausgesessen. Die „Kinderzuschlagsaffäre“, bei der Tausende von Familien zu Unrecht enteignet und sogar ihrer Kinder beraubt wurden, ist nur die Spitze des Eisbergs. Von der einstigen „Polderpolitik“, dem ständigen Austausch und friedlichen Miteinander von Volk und Regierung, ist nicht viel übriggeblieben. Fast erweckt es den Eindruck, als wären ausgerechnet die freiheitsliebenden und widerständigen Niederländer als Blaupause zur Verwirklichung eines „Great Reset“, wie er Klaus Schwab vom World Economic Forum vorschwebt, ausgewählt worden.

Die Niederlande kämpfen seit Jahrzehnten mit einem extremen Bevölkerungswachstum. Gab es 1960 gerade einmal 11,5 Millionen Einwohner, so sind es heute bereits 17,5 Millionen, für das Jahr 2050 wird mit 25 Millionen gerechnet. Das Bevölkerungswachstum ähnelt dem afrikanischer Entwicklungsstaaten und geht ausschließlich auf das Konto von Einwanderung, überwiegend aus den ehemaligen Kolonien und muslimischen Ländern. Schon heute haben die Niederlande die höchste Bevölkerungsdichte Europas, mehr als 500 Einwohner leben auf einem Quadratkilometer und damit mehr als doppelt so viele wie in Deutschland. Diesen Ansturm kann das Land nicht bewältigen, weder Wohnraum noch Infrastruktur sind ausreichend vorhanden.

Christdemokraten fallen in Umfragen auf drei Prozent

Doch um Wohnraum zu schaffen, braucht es Land – das ist auch der Hintergrund der gegen die Bauern gerichteten Politik. Unter dem Deckmäntelchen der „Stickstoffreduzierung“ werden Auflagen gemacht, die die Bauern niemals einhalten können und auch nicht sollen. Ausnahmeregelungen trifft die Regierung nur da, wo es ihr genehm ist – so beim Ausbau der Autobahnen um Utrecht, bei der zwei Großbauern von allen Auflagen ausgenommen wurden. 

Die angeordneten Stickstoffreduzierungen müssen perfiderweise von den umliegenden Bauern mitgeschultert werden. Die Umsetzung der Regierungspläne bedeutet eine Halbierung des niederländischen Viehbestands. Wie wenig es dabei tatsächlich um Emissionen geht, belegt die Tatsache, daß die Regierung für die kommenden Enteignungen bereits 25 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hat, für die verlangte Emissionsreduzierung ist hingegen kein Cent übrig. Es ist ein durchschaubares Manöver, ausgerechnet die Viehhalter als erste zu enteignen: Sie haben die schwächste Lobby von allen, der CO2-Fußabdruck von Fleisch wird seit Jahren kritisiert, ein Verzicht auf tierische Produkte seit Jahren propagiert. Der Angriff auf die Viehbauern ist nur der Anfang. Explodierende Strompreise machen das Beheizen von Treibhäusern unrentabel, Düngemittelknappheit und Begrenzung von Pflanzenschutzmitteln werden die Ernten drastisch schrumpfen lassen. Dabei sind die niederländischen Landwirte die effizientesten der Welt. Mehr als zwanzig Prozent des weltweit angebauten Gemüses stammen von hier, die landwirtschaftliche Expertise ist ein Erfolgsschlager.

Doch nicht nur Wohnraum, auch Energie ist knapp. Der größte Stromanbieter des Landes kann schon seit Monaten keine Verträge mehr für Firmen, Wohnungsbaugesellschaften und Schulen in Amsterdam anbieten. 40 Gigawatt befinden sich in der „Warteschlange“ für Stromverträge – das Vierfache des täglichen niederländischen Strombedarfs. Mit Boni werden Kunden animiert, zu Spitzenzeiten auf Strom zu verzichten – digitale Stromzähler machen es möglich. Wind- und Solarparks sind unzuverlässige Stromlieferanten, für die kaum Land zur Verfügung steht. Und die Gasgewinnung in Groningen ist durch viele beschädigte Häuser und nicht entschädigte Bewohner in der Dauerkritik.

Die große Unzufriedenheit der Bevölkerung läßt sich in den Wahlumfragen ablesen. Stärkste Partei wäre zur Zeit die von Geert Wilders geführte PVV, gefolgt von Ruttes Liberalen. Die neuen Wahlalternativen JA 21, eine Abspaltung vom Forum für Demokratie, und der BauernBürgerBund wären die dritt- und viertstärkste Kraft im Land, während die Christdemokraten gerade mal auf drei Prozent der Wählerstimmen hoffen dürften. 

Über den Plan der niederländischen Regierung kann nur spekuliert werden. Doch wer sich auf die Webseite von „Tristate-City“ begibt, kann erahnen, was uns erwartet. Ein großer Ballungsraum, der neben den Niederlanden auch das nördliche Flandern und große Teile Nordrhein-Westfalens umfaßt, soll entstehen, um auf Dauer mit den USA oder China konkurrieren zu können. Zwar sind nach Kritik alle Verlinkungen der Seite im Juni 2022 vom Netz genommen worden, gekommen ist der Hinweis, „Tristate-City“ habe nichts mit der Stickstoffpolitik in den Niederlanden zu tun. 

Foto: Nach dem WM-Sieg Marokkos gegen Belgien: Krawalle in Amsterdam-West