© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/22 / 02. Dezember 2022

Statt Stabilität – unruhige Zeiten
Brasilien: Erwartungsgemäß weist das Oberste Wahlgericht die Anfechtung der Präsidentschaftswahl zurück
Wolfgang Bendel

Der Versuch von Präsident Jair Bolsonaro und seiner Partido Liberal (PL), das Ergebnis der Wahl in Brasilien für ungültig zu erklären oder wenigstens einige Unregelmäßigkeiten aufzuklären, hatte keinen Erfolg.

Der Präsident und der PL-Vorsitzende Valdemar Costa Neto hatten beim Obersten Wahlgericht  einen Antrag auf Annullierung der Stimmabgaben für einige ältere elektronische Urnenmodelle eingereicht, die ihnen zufolge „irreparable Funktionsmängel“ aufwiesen. Erwartungsgemäß lehnte das Gericht unter Leitung von Alexandre Moraes, ein Intimfeind von Bolsonaro, den Antrag ab, ohne die Vorwürfe zu überprüfen. 

Eine andere Merkwürdigkeit der Wahl wurde ebenfalls nicht weiter untersucht, nämlich die Tatsache, daß in 143 Stimmbezirken Bolsonaro keine einzige Stimme erhielt, dafür sein Gegenkandidat Luiz Lula da Silva (PT; Arbeiterpartei) gleich alle. Der umgekehrte Fall trat nur zweimal auf. Begründet wurde diese Auffälligkeit in den Medien des Mainstreams mit der demokratiepolitisch erstaunlichen Begründung, die erwähnten Wahllokale lägen in Gebieten, die von „Indigenen bewohnt“ seien und daß diese „in der Regel geschlossen für Lula und seine PT stimmen“ würden. 

Während Bolsonaro von obiger Aktion abgesehen seit der Wahl kaum mehr in der Öffentlichkeit auftrat, ist der gewählte Präsident Lula da Silva – die offizielle Amtsübergabe findet am 1. Januar 2023 statt – etwas rühriger. Eine seiner ersten Aktivitäten war ein Flug zum Klimagipfel nach Ägypten. Dabei benutzte er den Privatjet eines befreundeten Millionärs, was nicht nur bei seinen Gegnern auf Befremden stieß.

Lula nahm die Umweltkonferenz zum Anlaß, seine Aussage zu wiederholen, wonach ein Ende der Ausgabenobergrenze notwendig sei, um „die soziale Situation in Brasilien zu lösen“. Zuvor hatte der 77jährige betont, daß die Menschen nicht leiden sollten, um „eine solche fiskalische Stabilität“ zu gewährleisten, was eine direkte Kritik an der Ausgabenobergrenze und den Überschußzielen darstellte. Der Finanzmarkt reagierte mit einem deutlichen Anstieg des Dollars um cirka zehn Prozent. 

Der als Finanzminister im Gespräch befindliche Guido Mantega, der bereits in früheren PT-Regierungen dieses Amt bekleidet hatte, erklärte inzwischen seinen Rücktritt aus dem Übergangs-team von Lula. Hintergrund ist unter anderem, daß Mantega 2016 im Zusammenhang mit dem Amtsenthebungsverfahren gegen die ehemalige Präsidentin Dilma Rousseff (PT) für acht Jahre untersagt wurde, staatliche Ämter zu übernehmen, die mit Unionsmitteln finanziert werden. Die zahlreichen Korruptionsfälle im Umfeld von Lula sind unübersehbar. 

Auch der gewählte Präsident wurde von derartigen Anklagen nicht etwa freigesprochen, sondern die ihm angelasteten Vergehen gelten inzwischen lediglich als verjährt.

Die Gesamtlage im Land bleibt angespannt. Gegner von Lula blockieren an vielen Stellen immer wieder den Überlandverkehr. Besonders die wirtschaftlich bedeutende Agrarwirtschaft zeigt sich hier unversöhnlich. Brennpunkte der Auseinandersetzungen sind dabei die großen Flächenstaaten Mato Grosso und Pará, in denen die Agrarindustrie eine dominierende Rolle spielt. Das Militär ist ebenfalls sehr skeptisch, was die weitere Entwicklung betrifft, ein direktes Eingreifen ist allerdings momentan nicht zu erwarten.