© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/22 / 02. Dezember 2022

Kirchen sind keine Museen
Obwohl sich in Naumburg alle über den neuen Marienaltar im Dom freuen, soll er wieder weg
Florian Werner

Gehört Kultur immer ins Museum? Das ist eine Frage, die zunächst Kopfnicken provoziert. Doch zur Dialektik des ins Museum verfrachteten Kulturguts gehört auch, daß es seine Funktion verliert, sobald es in der Vitrine steht. Wer würde sich schon mit einem antiken römischen Kamm die Haare striegeln oder sein Feierabendbier aus einem Opferkrug der Maya genießen? Umgekehrt entstehen auch dann Probleme, wenn Menschen Dinge mit einem lebenspraktischen Zweck nur noch als Ausstellungsstücke betrachten.

So geschehen ist das zuletzt in Naumburg an der Saale, einem 30.000-Seelen-Städtchen im Süden von Sachsen-Anhalt. Der dortige Dom „Sankt Peter und Paul“ inmitten der historischen Altstadt droht nämlich seinen Status als Unesco-Welterbe zu verlieren, weil er seit ein paar Monaten so gar nicht mehr museal daherkommt. Was war passiert? Die Evangelische Kirchengemeinde Naumburg hatte sich 2019 darauf verständigt, den von Lucas Cranach dem Älteren gestalteten und seit 1542 zerstörten Marienaltar zu erneuern und wiederaufzustellen, um die „spirituelle Anziehungskraft“ des Naumburger Doms zu erhöhen. Das Vorhaben sollte jahrhundertealte Gräben zwischen Katholiken und Protestanten wieder zuschütten, denn es war ein reformatorischer Bildersturm gewesen, dem der Marienaltar im Westchor des Gotteshauses zum Opfer fiel. Damit beauftragt, den damals verlorengegangenen Retabel zu ersetzen, wurde der Leipziger Künstler Michael Triegel.

Der Leipziger Maler, zu dessen Œuvre beispielsweise das vielbeachtete Wandbild „Allegorie der guten Regierung“ und aufsehenerregende Portraits von Papst Benedikt XVI. zählen, arbeitet handwerklich auf allerhöchstem Niveau. Seine Zeichnungen, Gemälde und Grafiken zeigen sich sowohl vom Manierismus des 16. Jahrhunderts als auch von der Leipziger Schule seines einstigen Lehrers Arno Rink aus der DDR beeinflußt. Das immer wiederkehrende Thema seiner Malerei ist die christliche Religion – seine Werke tragen Namen wie „Theophanie“, „Ave Verum Corpus“ und „Tolle, lege!“ 2017 ließ sich der Künstler taufen und in die katholische Kirche aufnehmen. Beste Voraussetzungen für die Neugestaltung eines christlichen Altars, sollte man meinen. Und tatsächlich: Das liturgische Kunstwerk beeindruckte sowohl das katholische als auch das protestantische Naumburg. Die Vorderseite des Altars zeigt eine „Sacra Conversazione“, eine Mariendarstellung mit dem Jesuskind, umringt von Heiligen älterer und neuerer Zeit. Petrus findet sich ebenso darunter wie Dietrich Bonhoeffer. Auf der Rückseite hingegen ist ein „Salvator Mundi“-Motiv zu sehen – Christus als Erlöser. Der Altar wurde im Sommer bei einer ökumenischen Vesper geweiht.

Doch die Domherren zu Naumburg hatten die Rechnung offenbar ohne den Internationalen Rat für Denkmalpflege (ICOMOS) gemacht, der der Unesco beratend zur Seite steht. Der Dom „Sankt Peter und Paul“ hatte den Welterbetitel 2018 erst erhalten. „Der Westchor des Doms ist durch die Integration von Architektur, Skulpturen und Glasmalereien ein außergewöhnliches Gesamtwerk der Werkstatt des sogenannten Naumburger Meisters und stellt ein Meisterwerk menschlicher Schöpferkraft dar“, begründete die Unesco damals ihre Auszeichnung. In genau diesem Westchor steht nun jedoch der von Cranach und Triegel gestaltete Marienalter – und stört damit in den Augen der Denkmalschützer das Ensemble mittelalterlichen Kunsthandwerks.

Das Bangen um den Welterbetitel ist ein Zeichen der Säkularisierung

Um den Verlust des Welterbestatus nicht zu riskieren, wird der Altar nun Anfang Dezember abgebaut und auf eine Ausstellungsreise geschickt. Zunächst soll er nach Paderborn wandern und dort im Diözesanmuseum wieder aufgebaut werden. Währenddessen hoffen die Domherren in Naumburg darauf, sich in letzter Sekunde doch noch mit der Unesco zu einigen, um das Kunstwerk im Westchor zu behalten. Die Situation ist allerdings verfahren. Niemand in der Stadt will den Welterbetitel für den Altar ernsthaft aufs Spiel setzen. Und auch die Landesregierung in Magdeburg kann wahrscheinlich gut auf eine Eskalation im Streit mit der Unesco verzichten.

Doch die Haltung des ICOMOS befremdet im historischen Rückblick, wäre doch mit derartigen Skrupeln im Sinne des Denkmalschutzes seinerzeit weder der erste Cranach-Altar noch das Unesco-prämierte Ensemble im Westchor des Doms entstanden. Der Bau wurde nämlich seit dem Jahr 1021, wo er in einer Bischofschronik noch als Marienkirche firmierte, beständig umgebaut und erweitert. So unterschiedliche Architekturepochen wie Romanik, Gotik und Barock hinterließen jeweils ihre deutlichen Spuren an dem Dom. Und das, weil er in den Jahrhunderten niemals als bloßes Denkmal, sondern als Ort des Glaubens betrachtet wurde. Der moderne Schwenk zum Stillstand durch Denkmalschutz gibt daher einige Rätsel auf. Auch der Chefredakteur der Monatszeitschrift Cato, Ingo Langner, widerspricht der vom Denkmalschutz verordneten Starre. „Der neue Marienaltar sollte besser zum Ausgangspunkt für eine neue christliche Spiritualität in Naumburg genommen werden“, äußert er sich im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Als Christ müsse man sich für die geglückte katholisch-evangelische Initiative gerade bei der Gottesmutter bedanken, der dieser neue Altar gewidmet ist. „Aus Dankbarkeit müßten sie sich alle zusammentun und den Rosenkranz beten“, betont der gläubige Katholik. Für ihn ist das Bangen um den Welterbetitel des Doms ein Zeichen der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft. „Daß die Denkmalschützer diese Fragen stellen, zeigt doch, daß ihnen der Cranach-Triegel-Altar vor allem aus säkularen Gründen ein Dorn im Auge ist“.

Mit dieser Meinung ist Langner in guter Gesellschaft. Schon der katholische Historiker Christopher Dawson vertrat die These, daß die europäische Zivilisation und Kultur ganz wesentlich aus den Impulsen des christlichen Glaubens heraus entstanden sei. „Die Anfangspunkte der westlichen Kultur liegen in den Glaubensgemeinschaften der Barbaren, die sich inmitten der Ruinen des Römischen Imperiums zum Christentum bekehrt hatten“, betonte der Brite in seiner berühmten Vorlesungsreihe mit dem Titel „Die Religion und der Aufstieg der westlichen Kultur“. In zahlreichen Monographien, Artikeln und Reden vertrat der katholische Gelehrte in den Worten des Schriftstellers Lord Acton die Überzeugung, daß „Religion der Schlüssel der Geschichte“ sei. Folgt man diesem Gedanken, dann ist die europäische Kultur ohne die christliche Religion ein Widerspruch in sich. Aus diesem Blickwinkel betrachtet wäre aber der Triegel-Cranach-Altar keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung für den Kulturschatz im Dom zu Naumburg – wie schon die romanischen und gotischen Zubauten der Vergangenheit. Dies kann man nur übersehen, wenn man Religion und Kultur strikt trennt. Wer die aus dem Glaubensleben Europas heraus entstandenen Kulturbauten einfach  in museale Ausstellungsstücke verwandeln will, der verunstaltet sie in Wirklichkeit. Ihr Element ist nämlich die stete Veränderung. Auch in Naumburg.

Foto: Der Leipziger Maler Michael Triegel, selbst Katholik, steht vor dem Marienaltar, den er „gemeinsam“ mit dem protestantischen Renaissancemaler Lucas Cranach d. Ä. gestaltet hat: In Naumburg greifen Jahrhunderte christlicher Tradition ineinander – trotzdem soll das liturgische Kunstwerk der Unesco zuliebe schon bald wieder verschwinden