© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/22 / 02. Dezember 2022

Zeitschriftenkritik: Psychologie Heute
Wer ist schon perfekt?
Werner Olles

Unser Streben nach Perfektion treibt uns oft bis zur Erschöpfung, und doch verfallen wir ihm immer wieder. In ihrem Vorwort zur aktuellen Ausgabe (Dezember 2022) der monatlich erscheinenden Zeitschrift Psychologie Heute zitiert Chefredakteurin Dorothea Siegle den Arzt, Psychoanalytiker und Gründer des Instituts für Musikphysiologie und Musikergesundheit in Berlin, Helmut Möller, der erkannt hat, daß Exzellenzstreben viele Menschen krank macht. Dies gehe von Tablettensucht und Alkoholabhängigkeit über ständige Selbstentwertung und muskuläre Verspannungen bis hin zur Dystonie, einer Bewegungsstörung, die es im schlimmsten Fall unmöglich mache, weiter zu musizieren. Tatsächlich könne man jedoch das, was im Gehirn gespeichert sei, nicht einfach verändern: „Es bedarf einer unglaublichen Anstrengung, den Perfektionismus zu löschen.“ 

Die Titelgeschichte beleuchtet, woher die ständige Sucht nach Makellosigkeit kommt und wie man ihr entkommen kann. Das Streben nach Perfektion reicht tief bis in den persönlichen Lebensbereich hinein: Wir sollen uns nur gesund ernähren, eine tolle Ehe führen, die Kinder optimal fördern, dreimal in der Woche Sport machen und natürlich bei all dem noch möglichst gut aussehen. Die Crux ist allerdings: Das Leben ist voller Unwägbarkeiten und läßt sich nur bedingt kontrollieren. Zwar legen empirische Befunde und medizinische Studien nahe, daß perfektionistische Überzeugungen bei Burnout, Depression, Panik-, Angst-, Eßstörungen und anderen psychosomatischen Krankheiten eine Rolle spielen, doch ähnlich wie bei einer Sucht-Entgiftung hilft nur, die Zügel langsam und allmählich zu lockern, zu erkennen, daß ständiger Leistungsdruck den Blutdruck ansteigen läßt und das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankung erhöht. Zudem sei es wichtig, gesellschaftliche Ansprüche kritisch zu hinterfragen. 

Ein weiterer Beitrag beschäftigt sich mit der „Krise der Kinder“, die besonders in der Corona-Pandemie deutlich wurde. Die Belastung durch monatelanges Homeschooling und die Trennung von Freunden war für viele Kinder und Jugendliche groß, die Zahl der Heranwachsenden mit psychischen Problemen stieg von 18 auf 31 Prozent, auch wenn Übergewicht, Asthma, Depression und Ängste schon vor Covid-19 alltägliche Themen in Kinderarztpraxen waren. Wie umfassend die psychische Krise der Kinder heute sei, werde erst jetzt gesamtgesellschaftlich deutlich, betont die Psychotherapeutin Tanja Legenbauer von der Uniklinik Hamm. Vor allem Kinder aus bildungsfernen Familien, so Legenbauer, leiden unter den Folgen der Corona-Maßnahmen und entwickeln ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen.

Kontakt: Beltz Verlag, Postfach 100 565, 69445 Weinheim. Das Einzelheft kostet 8,20 Euro, ein Jahresabo 84 Euro.

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