© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/22 / 02. Dezember 2022

Vom Glück, begnadet zu sein
Kino II: Ein zauberhafter Zeichentrickfilm würdigt den Asterix-Erfinder René Goscinny
Dietmar Mehrens

Ein milder Tag im Paris des Jahres 1955. Vor dem Pariser Straßencafé „Chez Michel“ sitzt ein Mann mit schwarzem Lockenkopf. Bald gesellt sich ein zweiter, ein paar Jahre jüngerer zu ihm und spricht ihn an, ob er nicht Lust habe, Texter für die Bildergeschichten einer von ihm erdachten Figur zu werden. Denn er, der Ältere, sei bekanntlich ein Meister des Wortes. Er selbst, der Jüngere, sei eher ein Zeichner, dem geistreiche Texte nicht so recht einfallen wollen. Die Figur soll ein kleiner Junge sein, spontan fällt dem Jüngeren beim Blick auf einen Werbeschriftzug an der nächsten Ecke der Name Nicolas ein.

Diese erste Szene des Films „Der kleine Nick erzählt vom Glück“ schildert die erste Begegnung seiner Schöpfer. Der Mann mit den schwarzen Locken ist der geniale Comic-Autor René Goscinny, der zusammen mit dem Zeichner Albert Uderzo die unbesiegbaren Gallier Asterix und Obelix (die auch zu sehen sind) und den tapferen Indianer Umpah-Pah ersann. Auch die Szenarios für den bis heute erfolgreichen Westerncomic Lucky Luke und die Mohammedaner-Satire Isnogud stammten von dem jüdischen Autor, der während der NS-Herrschaft im Exil lebte und so, anders als mancher Verwandte, der Deportation durch die Nazis entging.

Ganz in der Ästhetik der fünfziger Jahre gehaltenen

Einer fehlt noch in der Reihe: der kleine Nick bzw. Le petit Nicolas, wie die Geschichten um den kleinen Jungen, seine Eltern und Freunde im französischen Original heißen. Um ihn und seine beiden Väter, also Zeichner Jean-Jacques Sempé und René Goscinny, geht es in diesem ganz in der Ästhetik der fünfziger Jahre gehaltenen Zeichentrickfilm, für den Goscinnys Tochter Anne die Dialoge schrieb und der nicht primär für Kinder bestimmt ist, sondern sich als nostalgische Huldigung, als Verneigung vor dem Werk der beiden Künstler, an diejenigen Erwachsenen richtet, die mit Goscinnys Geschichten oder Sempés Zeichnungen oder, im besten Fall, mit beidem aufgewachsen sind. 

Unter der Regie von Benjamin Massoubre ist dabei ein sehr kreativer und immens liebenswerter Film entstanden, den ein wenig der Charme von Damien Chazelles „La La Land“ (2016) durchweht. Sempés Bildergeschichten nachempfundene Abenteuer des frechen Pennälers – Nick, wie er von der Oma sein legendäres rotes Flugzeug geschenkt bekommt, Nick beim Schuleschwänzen, Nick im Disput mit der durchtriebenen Louisette – wechseln sich ab mit Szenen, die den Werdegang seiner beiden Erfinder nacherzählen.

Der Zuschauer folgt Goscinny nach Argentinien, wohin die Familie Ende der Zwanziger aufbrach, als er selbst ein Jahr alt war, und in die USA, wo er Morris, den Zeichner von Lucky Luke, traf. Immer wieder ist Nick und mit ihm der Zuschauer auch zu Gast bei Sempé im Studio oder bei Goscinny an der Schreibmaschine: Sempés Lebensgeschichte – wie sein Texter rennt er zunächst mit seinen Zeichnungen keine offenen Türen ein – fällt etwas kürzer aus als die des Asterix-Erfinders.

Der Film, an dessen Entstehung Anne Goscinny maßgeblich beteiligt war, war wohl eher als Würdigung für den bereits 1977 an einem Herzinfarkt gestorbenen Szenaristen gedacht. Daß er nun eher als Ehrung für Sempé wahrgenommen wird, liegt daran, daß vor wenigen Wochen, im August 2022, nun auch der zweite Vater des kleinen Nick verstorben ist. Den Start dieser zauberhaften Hommage an sein Lebenswerk in den Kinos erlebt Sempé nicht mehr mit.

Kinostart ist am 1. Dezember 2022