© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/22 / 02. Dezember 2022

Er widersetzte sich jedem Totalitarismus
Publizistik: Zur Erinnerung an den vor hundert Jahren geborenen konservativen Journalisten Gerhard Löwenthal
Stefan Winckler

Ein journalistisches Urgestein: Gerhard Löwenthal, geboren am 8. Dezember 1922 in Berlin nahe dem Kurfürstendamm. Er kam als einer der ersten Mitarbeiter zum RIAS (1945/46), als eine Ruine zum Sendestudio des Drahtfunks hergerichtet wurde. Schon mit 25 Jahren leitete er den RIAS-Hochschulfunk und die RIAS-Funk-Universität. 1954 wurde er zum  stellvertretenden Intendanten des neu gegründeten Senders Freies Berlin berufen. Löwenthal wirkte von 1963 bis 1968 als erster ZDF-Korrespondent in Brüssel. Vor allem bleibt er als Redaktionsleiter und Moderator des „ZDF-Magazins“ (1969 bis 1987) in Erinnerung.

Welche politischen Werte vertrat er und was ließ ihn in Deutschland bleiben? Am Anfang stand die doppelte Erfahrung des Totalitarismus: Löwenthal hatte als jüdischer Mensch den Nationalsozialismus mit seinen sich steigernden Demütigungen und der über Jahre anhaltenden Gefahr, deportiert und ermordet zu werden, überlebt. Kurzzeitig war er im KZ Sachsenhausen eingesperrt (1938), 1943 saß er in Gestapo-Haft. 1946/47 erkannte er das Wetterleuchten eines neuen Totalitarismus, diesmal unter den roten Fahnen der Stalinisten, deren Anmaßung immer mehr anwuchs. Konsequenz: Er wirkte an der Gründung der Freien Universität Berlin mit.  

Nach Nationalsozialismus und Shoah fühlte sich Löwenthal berufen, gegen alle Einparteienideologien und für den demokratischen Verfassungsstaat einzutreten, den er in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht sah. Er verteidigte ihn mit den Mitteln eines Journalisten gegen Extremisten, seien es Stasi-Agenten oder Terroristen. Es war die Zeit des Kalten Krieges: Permanent prangerte er Menschenrechtsverletzungen in der DDR und der UdSSR an. Ihn erreichten „Hilferufe von drüben“, weil Ausreisewillige in einer Bekanntmachung ihrer Lage die letzte Chance sahen, den SED-Staat zu verlassen. Mehr als andere TV-Journalisten führte er die Spaltung Deutschlands durch den Eisernen Vorhang vor Augen.  

Kennzeichnend für ihn war die globale Sicht auf den Ost-West-Konflikt: Die Stellvertreterkriege um rohstoffreiche Regionen im südlichen Afrika waren ihm ebenso ein Thema wie die sowjetische Invasion in Afghanistan oder weltweite Terrornetzwerke.

Löwenthal gelang es, die relevantesten Politiker und Wissenschaftler vor sein Mikrofon zu holen: Ernst Reuter bei seiner Rückkehr aus dem Exil, Konrad Adenauer nach der ersten Kanzlerwahl, Richard Nixon und Henry Kissinger im ZDF-Studio, die Parteivorsitzenden – eine imponierende Liste. Er ließ sich von Bedrohungen durch die RAF, rechtsextremistische Antisemiten, Linksradikale und arabische Israelfeinde nicht von seinem Weg abbringen.

Löwenthal war mit Franz Josef Strauß befreundet und stand dem konservativen Flügel der CDU nahe. Er gründete Bürgerinitiativen, hielt über tausend Reden zugunsten seiner politischen Anliegen, zu denen eine bundesweite Ausdehnung der CSU (1976) gehörte. Das Motto „Freiheit oder Sozialismus“ soll von ihm stammen.

Das ZDF in Person von Intendant Dieter Stolte und Chefredakteur Klaus Bresser nutzte Löwen-thals Pensionsberechtigung 1987, um das Magazin nach 583 Folgen zu beenden, weniger als zwei Jahre vor der friedlichen Revolution in der DDR. Es folgten noch zehn Sendungen von und mit Fritz Schenk. Ein Angebot, als freier Mitarbeiter seine regen Kontakte zu nutzen, blieb aus. Der unbequeme, oft verbissen wirkende Konservative hatte wenige politische Freunde unter den Kollegen, auch im ZDF. Ein Dank des Arbeitgebers: Fehlanzeige, trotz seiner Anstellung ab der „ersten Stunde“.

Gerhard Löwenthal starb zwei Tage vor seinem 80. Geburtstag am 6. Dezember 2002. Er ist auf dem Jüdischen Friedhof Heerstraße in Berlin bestattet.






Dr. Stefan Winckler, Jahrgang 1967, ist Historiker und Publizist. Er wurde mit der Dissertation „Gerhard Löwenthal. Ein Beitrag zur politischen Publizistik der Bundesrepublik Deutschland“ (BeBra Wissenschaft, Berlin 2011) promoviert.

 www.historiker-stefan-winckler.de