© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/22 / 02. Dezember 2022

Im woken Schlamm eingraben
Echte Konkurrenz zu Twitter? Nach dem Musk-Deal wechseln viele linke Nutzer zu Mastodon
Christian Schreiber

Der Kauf der Social-Media-Plattform Twitter durch den US-Milliardär Elon Musk erhitzt weiterhin die Gemüter. Vor allem politisch überkorrekte Menschen haben ihre Accounts gelöscht, denken darüber oder werben dafür, das Portal zu verlassen. Immer stärker profitiert davon jetzt die in Deutschland entwickelte Alternative Mastodon. 

Die Plattform ist ähnlich wie eine Graswurzelbewegung „Botton-up“ organisiert und war bislang vor allem in der deutschsprachigen IT-Szene beliebt. Mit etwa 5,6 Millionen Accounts Ende Oktober – von denen viele bisher brachlagen – kam der Dienst aber nicht ansatzweise auf Zahlen, die mit Twitter mithalten könnten. Doch die Zahl der Nutzer hat sich innerhalb weniger Tage beinahe verdoppelt. Mastodon-Gründer und Hauptentwickler Eugen Rochko sprach unlängst von einer regelrechten Explosion der Nutzerzahlen. Demnach gebe es erstmals mehr als eine Million monatlich aktiver User auf der Plattform. Seit dem 27. Oktober – also jenem Tag, an dem Musk Twitter fix übernommen hat – seien 489.000 Anmeldungen neu hinzugekommen. Kurzfristige Höhenflüge von neuen Social-Media-Plattformen gab es immer wieder. Manche wachsen zu globaler Größe wie Instagram oder Tiktok, andere verschwinden nach dem anfänglichen Interesse wieder aus der Öffentlichkeit, wie Clubhouse und Diaspora. Fest steht, daß die Musk-Übernahme sowie die Diskussionen um die neue Haken-Verifizierung, die künftige Moderation von Beiträgen und die aktuelle Ankündigung einer Generalamnestie für gesperrte Twitter-Nutzer, die nicht gegen Gesetze verstoßen haben, die Alternativangebote in Bewegung gebracht haben. Eine offizielle Stellungnahme zur neuen Konkurrenz gibt es seitens des Tech-Konzerns aus San Francisco nicht. Ein Beleg dafür, daß Mastodon gerade auf viel neues Interesse stößt, zeigt sich aber direkt auf Twitter selbst. Dort findet sich der Hashtag #Mastodon regelmäßig unter den ersten Zehn. 

Dezentral aufgebaut und ohne einheitliches Regelwerk

Dennoch wäre es voreilig, von einer Kräfteverschiebung zu sprechen. Weltweit ist der Marktanteil von Mastodon bislang unbedeutend, zudem kommen nahezu 40 Prozent der Nutzer aus Deutschland. Twitter wurde zuletzt von 238 Millionen Menschen täglich benutzt. Und: 80 Prozent der Menschen in Deutschland haben laut einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts Yougov noch nie von dem neuen Netzwerk gehört. 

Jene, die dennoch wechseln wollen, müssen sich zudem umgewöhnen. Im Gegensatz zu Twitter ist Mastodon kein einheitlicher Service, sondern besteht aus einem dezentralen Netzwerk von verschiedenen Servern. Es gibt welche für die jeweiligen Einwohner einer Vielzahl von Städten, die unterschiedlichsten politischen Überzeugungen und eben auch für eine Branche, deren Mitarbeiter sich besonders gern auf Twitter tummeln: die Medien. 

Man kann als Mastodon-Nutzer zwar mit den Mitgliedern aller anderen sogenannten „Instanzen“ der offenen Software kommunizieren und anstatt zu twittern „tooten“ („tröten“), die eigenen Regelwerke sind aber unterschiedlich. Gewöhnungsbedürftig ist ebenfalls, daß ein Profilkürzel nicht nur aus dem eigenen gewählten Namen besteht, sondern auch noch aus dem Servernamen. Dafür gibt’s anstatt der 280 Twitter-Zeichen, ganze 500.

Neben dem Wetter-Experten Jörg Kachelmann und Aktivistin Jasmina Kuhnke hat sich mit Jan Böhmermann ein weiterer Wortführer der woken Linken bei Mastodon angemeldet und lauthals die Werbetrommel gerührt. „Es ist die Zukunft! Kommt alle! Es ist free und funktioniert wie Twitter! Ich bin auch da“, schrieb der ZDF-Moderator, der mit 2,7 Millionen Twitter-Nutzern zu den großen Stars der deutschsprachigen Szene gehört – auf Mastodon sind es bislang gerade einmal 135.000. 

Und so entdeckt man einen guten Monat nach dem Machtwechsel in der Twitter-Zentrale beim Öffnen der Startseite des allerersten Servers, mastodon.social, hauptsächlich altbekannte linksliberale Gesichter vom Volksverpetzer über UnionWatch und Mario Sixtus bis hin zu El Hotzo. War bisher ein beliebter Vorwurf, „Rechte“ würden in ihren Filterblasen im eigenen Saft schmoren, so erscheint vielmehr Mastadon momentan als abgekapselte bunte Bubble. Manche Twitter-Nutzer scherzen schon: Endlich! Wenigstens blieben die Linken unter sich und könnten mit ihrer digitalen Hexenjagd durch Denunziantenmobs nicht mehr andere Profile nerven. So manche kontroverse, durchaus aufschlußreiche bis entlarfende Diskussion dürfte dabei allerdings auch verlorengehen.

Foto: Die üblichen Verdächtigen zieht es auf Mastodon: Böhmermann, Sixtus und Co.