© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/22 / 02. Dezember 2022

Linke Identitätspolitik: Radikalisierter Neoliberalismus
Siegerlogik zu eigen gemacht
(wm)

Es sei ein bemerkenswertes Paradox der letzten Jahre, so wundert sich der marxistische Soziologe Boris Kagarlitsky (Institut für Globalisierung und soziale Bewegungen in Moskau), daß die wachsende Unzufriedenheit damit, wie der Kapitalismus funktioniert, international nicht zur Stärkung der Linken beigetragen habe (Konkret, 11/2022). Soweit wie die chronische Krise des westlichen Kapitalismus vereinzelt überhaupt nennenswerte sozialen Unruhen ausgelöst habe, wie in Frankreich den Protest der „Gelbwesten“, fanden sie nicht unter linken Parolen statt. Schlimmer noch: die rebellische Basis betrachte heute linke Intellektuelle und Politiker als Teil des Establishments, das sie unterdrückt. Es sei daher eher bereit, „Rechtspopulisten nachzulaufen“, weil sie dem Volk näherstünden. Zumal die Linke, nachdem sie in den 1990ern ihren Kampf gegen den Neoliberalismus verloren hatte, sich dessen Siegerlogik zu eigen machte, die kein Volk und keine Klassensolidarität kennt. Stattdessen bestehe in linker „Minderheitenpolitik“ ein umgesetztes soziales Prinzip, die Gesellschaft in reine Produzenten und Konsumenten zu fragmentieren, die nach Marktgesetzen miteinander konkurrieren. Insoweit biete sich die auf Minoritäten und Gender-Sprachkosmetik fixierte Linke als „radikalere Version des neoliberalen Politikansatzes“ an. 


 www.konkret-magazin.de