© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/22 / 02. Dezember 2022

Frisch gepreßt

Zeitzeuge. Seien es eigene Erfahrungen aus erster Hand, Erzählungen von Älteren oder aber auch verschiedenste Formen archivierten Wissens – Menschen besitzen diverse Zugänge zu vergangenen historischen Epochen. Seltener kommt es allerdings vor, daß sich das Wissen über eine Vielzahl jener einschneidenden Entwicklungsphasen einer Nation im direkten Erleben eines einzelnen Individuums bündeln. Eine dieser Persönlichkeiten war der Militärhistoriker, Archivar und frühere Offizier Otto Freiherr von Waldenfels (1889–1974), der noch monarchische Zeiten, zwei Weltkriege samt nationalsozialistischer Diktatur als auch die Nachkriegszeit in Deutschland unmittelbar erlebte. Aus von mehreren Familiengenerationen überlieferten Schriftstücken, in denen von Waldenfels seine Erinnerungen „an die schwierigsten Zeiten der deutschen Geschichte“ tagebuchartig schildert, entstand das nun vom entfernten Verwandten Ernst von Waldenfels herausgegebene Werk. In diesem erwartet den Leser eine authentische autobiographische Überlieferung eines vaterlandsliebenden Deutschen, der im späteren Verlauf seines Lebens die Zustände in seinem nun von inneren und äußeren Konflikten zerrütteten, gar buchstäblich geteilten Land reflektiert und dabei nostalgisch, aber vor allem melancholisch zurückblickt. (wis)

Ernst von Waldenfels (Hrsg.): Otto Freiherr von Waldenfels. Mein zerrissenes Vaterland. Erinnerungen. Osburg Verlag, Hamburg 2022, gebunden, 359 Seiten, 26 Euro





Karl May. Die Gesamtauflage der Werke Karl Mays, so teilt uns Wilhelm Brauneder mit, betrug 2013 über 80 Millionen Bände. In der Rezeptionsgeschichte dieses einzigartig erfolgreichen Verfassers von Reise- und Abenteuerromanen wirkt daher das jüngste Fiepen, das aus der Ecke der politisch Überkorrekten gegen den Winnetou-Schöpfer zu hören war, nicht einmal wie der berühmte Sack Reis, der in China umfällt. Die albernen Anwürfe zu Mays „kultureller Aneignung“ und seinem „Rassismus“ taugen aber vielleicht dazu, sich einmal intensiver mit der Person Mays zu beschäftigen. Dazu ist Brauneders schmale Biographie, die sich ausführlich dem Werdegang und in leider allzu straffer Kürze dem qualitativ höchst durchwachsenen Œuvre des aus dürftigsten Verhältnissen zum vermögenden Bestsellerproduzenten aufgestiegenen sächsischen Webersohns widmet, vorzüglich geeignet. Kaum gestreift wird hingegen das Spätwerk, die Romane „Im Reich des Silbernen Löwen“ sowie „Ardistan und Dschinnistan“. Das ist eine empfindliche Lücke, denn ihretwillen dürfe man, wie Arno Schmidt ihn rühmt, Karl May getrost als „den bisher letzten Großmystiker unserer Literatur“ würdigen. (wm)

Wilhelm Brauneder: Karl May. Dichter – Themen – Umfeld. Karolinger Verlag, Wien 2022, gebunden, 180 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro