© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/22 / 09. Dezember 2022

Am liebsten mit viel Zivilgesellschaft
„Strategie gegen Antisemitismus“: Die Bundesregierung will judenfeindliche Straftaten besser bekämpfen / Mehr als übliche Worthülsen?
Peter Möller

Die Zahlen sind eindeutig: 2017 registrierten die Behörden 1.504 antisemitische Straftaten in Deutschland, im vergangenen Jahr waren es 3.027 Übergriffe auf Juden oder jüdische Einrichtungen. In den ersten neun Monaten dieses Jahres wurden nach vorläufigen Zahlen bereits 1.112 antisemitische Straftaten verzeichnet.

Vor dem Hintergrund der seit Jahren hohen Zahl von solchen Übergriffen in Deutschland hat der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, in der vergangenen Woche in Berlin die vom Bundeskabinett beschlossene „Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben“ präsentiert. „Die gesamtgesellschaftliche Bekämpfung von Antisemitismus ist angesichts der aktuellen Entwicklungen dringlicher denn je“, sagte Klein bei der Vorstellung. 

Ziel der auf 50 Seiten zusammengefaßten Strategie ist es, den Weg zu bereiten „für einen ganzheitlichen, politikfeld-, ressort- und ebenenübergreifenden Ansatz der Antisemitismusbekämpfung“. Mit anderen Worten: Staatliche und zivilgesellschaftliche Institutionen sollen miteinander vernetzt werden, um den Antisemitismus gemeinsam und zielgerichtet zu bekämpfen – oder ganz anders gesagt: ein Großteil des Kampfes gegen Antisemitismus soll nicht von den Strafverfolgungsbehörden geführt, sondern an private Institutionen ausgelagert werden, die im Umkehrschluß mit üppigen Zuwendungen vom Steuerzahler rechnen dürfen. 

Dafür wurden fünf sogenannte Handlungsfelder identifiziert: Neben der Prävention und Bekämpfung von Antisemitismus sieht das Papier die Datenerhebung, Forschung und Erstellung eines Lagebilds sowie die Bildung als Antisemitismusprävention und Aufklärung vor. Weitere Handlungsfelder widmen sich der Erinnerungskultur, dem Geschichtsbewußtsein und dem Gedenken sowie der jüdischen Gegenwart und Geschichte.

Daran, wo die Macher der Strategie die Ursachen für den Antisemitismus in Deutschland sehen, lassen sie keinen Zweifel: „Die größte Relevanz besitzt der Antisemitismus weiterhin im Rechtsextremismus, wo er zu den ideologischen Kernelementen zählt“, heißt es in dem Papier. Als Beleg dafür, daß der Anteil der rechtsextremistisch motivierten anti­semitischen Straftaten besonders hoch sei, wird auf die Statistiken verwiesen. Nicht erwähnt wird indes die gängige Praxis der Behörden, antisemitische Straftaten, bei denen die Täterschaft unklar ist, pauschal als rechtsextremistisch motiviert zu registrieren.

Zurückhaltend beim Thema Moslems und Antisemitismus

Dementsprechend wird das große Tabu in der deutschen Diskussion über den Antisemitismus, der wachsende Anteil von Moslems unter den Tätern, in dem Papier zwar nicht gänzlich ausgeblendet, aber äußerst zurückhaltend behandelt. Im Zusammenhang mit der „Stärkung des jüdisch-muslimischen Dialogs“ heißt es beispielsweise knapp: „Die Deutsche Islam Konferenz (DIK) hat sich mehrfach mit Antisemitismus unter Muslimen befaßt.“

Es wird interessant sein zu sehen, welchen Einfluß die zahlreichen beteiligten, meist äußerst links geprägten „zivilgesellschaftlichen“ Organisationen auf die Umsetzung der Antisemitismus-Strategie nehmen werden. Wenn es in dem Papier heißt, bei Bildungs- und Präventionsvorhaben sollte „eine intersektionale und interrelationale Perspektive beachtet werden, um zum Beispiel Verschränkungen von Judenhaß mit Antifeminismus oder Rassismus zu berücksichtigen“, beginnt man zu ahnen, welche Richtung dieser institutionalisierte Kampf gegen den Antisemitismus in Deutschland einschlagen wird.

Dabei sind die Ziele der Strategie eigentlich eindeutig formuliert: „Gegen alle Formen antisemitischer Diskriminierung und der Verbreitung von Judenhaß muß konsequent vorgegangen werden. Eine wehrhafte Demokratie darf dafür keine Mittel oder Räume zur Verfügung stellen.“ Die Umsetzung wird indes zeigen, ob dies mehr als die üblichen Worthülsen sind.

 www.antisemitismusbeauftragter.de

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