© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/22 / 09. Dezember 2022

Ländersache: Rheinland-Pfalz
Dilettantisch und überfordert
Paul Leonhard

Chaos und Panik müssen in der Flutnacht vom 14. zum 15. Juli vergangenen Jahres im Lagezentrum des Innenministeriums in Mainz geherrscht haben. Chaos, weil das Lagebild „sehr, sehr unübersichtlich“ war, wie nach langem Zögern der Vertreter des Inspekteurs der Polizei in Rheinland-Pfalz, Martin Kuntze, jetzt vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß des Landtages eingeräumt hat. Und Panik, weil sich die Mitarbeiter in einem „extremen Spannungsfeld“ zwischen dem Informationsbedürfnis von Behörden und Öffentlichkeit sowie der Anforderung befanden, nur gesicherte Informationen weiterzugeben (JF 42/22).

Die Beamten hätten „nach bestem Wissen und Gewissen“ die eingehenden Informationen abgearbeitet und die ganze Nacht lang versucht, Boote, Hubschrauber und Personal zu organisieren, so Dieter Keip, für die Polizei zuständiger Abteilungsleiter im Innenministerium. Einige Informationen waren allerdings sehr konkret. So räumte bereits im September ein Mitarbeiter des Lagezentrums ein, in jener Nacht gegen 23.40 Uhr von einem Angehörigen der Polizeihubschrauberstaffel aus vier Orten Fotos erhalten zu haben, auf denen bis unter das Dach im Wasser stehende Häuser zu sehen waren, die er als „erschreckend“ bezeichnet und „persönlich an das Ministerbüro weitergeleitet“ habe.

Nachdem mehr und mehr Dokumente und E-Mails aus jener Nacht, darunter auch gelöschte, die aber vom Landeskriminalamt wiederhergestellt werden konnten, bekanntgeworden sind, sollen nun 16 Zeugen aus der Region den Abgeordneten besser nachvollziehbar machen, was bei der Krisenbewältigung im Ahral schiefgegagen ist. Kommende Woche steht dann das Katastrophenmanagement des Deutschen Roten Kreuzes im Mittelpunkt einer Ausschußsitzung. Voraussichtlich wird dann auch die Staatsanwaltschaft Koblenz, die gegen den früheren Landrat des Kreises Ahrweiler und einen Mitarbeiter ermittelt, über ihren Ermittlungsstand informieren. Den beiden Männern wird vorgeworfen, die Bevölkerung zu spät gewarnt und evakuiert zu haben.

Überfordert von den Ereignissen war aber offenbach nicht nur die Kreisebene, sondern auch die eigentlich für den Katastrophenschutz zuständige, dem Innenministerium unterstellte Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD), die drei Tage nach der Sturzflut mit mindestens 134 Toten die Einsatzleitung übernahm. Deren Agieren, so sagten übereinstimmend mehrere Zeugen, sei dillettantisch gewesen. Es sei der Eindruck entstanden, daß die Mitarbeiter des Verwaltungsstabes für derartige Aufgaben nicht geschult gewesen seien.

Ob auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) Anfang nächsten Jahres nochmals vor den Untersuchungsausschuß geladen wird, hängt von der Auswertung der mehr als 120 neuen Videos und 21 Dateien aus dem Flutgebiet ab, die die ADD plötzlich zur Verfügung gestellt hat. So mußte Innenminister Roger Lewentz (SPD) seinen Hut nehmen, weil von der Polizei-Hubschrauberstaffel gemachte Aufnahmen angeblich verschwunden waren. Noch weigert sich Dreyer aber, die politische Verantwortung für das offensichtliche Versagen ihrer Katastrophenschützer zu übernehmen.