© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/22 / 09. Dezember 2022

„Für 500 pro Kopf breche ich Nasen“
Kriminalität im Internet: Ankündigung und Ausbeute stehen beim Aktionstag der Polizei gegen „Haß-Postings“ in ziemlichem Kontrast
Vincent Steinkohl

Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. „Aufforderungen zu Straftaten, Bedrohungen, Nötigungen oder Volksverhetzungen im Netz sind Straftaten, die mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden können“, schreibt das Bundeskriminalamt (BKA). Um das zu unterstreichen fand vergangene Woche mit großer medialer Begleitmusik der „Aktionstag zur Bekämpfung von Haß-Postings“ statt. Seit 2016 gibt es dieses Institut alljährlich. In 14 Bundesländern führten Polizeibehörden insgesamt 90 Maßnahmen durch, darunter Wohnungsdurchsuchungen und Vernehmungen. Einzig der Freistaat Thüringen und die Hansestadt Bremen beteiligten sich nicht an der Aktion, wie sie der JUNGEN FREIHEIT mitteilten.

Die Berliner Polizei verkündete auf Twitter: „Hatespeech ist keine freie Meinungsäußerung. Beleidigung, Volksverhetzung & rassistische Kommentare sind strafbar und werden verfolgt.“ Allein in der Hauptstadt durchsuchten mehr als 60 Beamte, darunter auch Angehörige des Spezialeinsatzkommandos, neun Wohnungen. Die Verdächtigten und die ihnen zur Last gelegten Vergehen seien äußerst verschieden. Ein 38jähriger Mann schrieb beispielsweise unter einem Youtube-Video „Für 500 pro Kopf breche ich Nasen“, der Beschuldigte hat die Tat bereits zugegeben. Ein 24jähriger Neuköllner soll in einem Beitrag auf der Plattform Instagram andere Nutzer beleidigt haben.

Bundesweit sind Fälle leicht rückläufig

Auch in Sachsen ging die Justiz hart gegen die Verfasser mutmaßlich strafrechtlich relevanter Internet-Beiträge vor. 13 Ermittlungsverfahren wegen übler Nachrede, dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Beleidigung, Bedrohung sowie Verstößen gegen das Waffengesetz wurden dabei vollzogen. 

Zahlenmäßig fielen die Ergebnisse allerdings geringer aus, als es die Ankündigungen aus dem Bundesinnenministerium erwarten ließen. In Rheinland-Pfalz haben die Behörden acht Wohnungen durchsucht, in Hessen – rund 6,3 Millionen Einwohner –  wurden im Zusammenhang mit dem Aktionstag insgesamt drei Frauen und sechs Männer zwischen 17 und 72 Jahren einer Internet-Straftat bezichtigt. In Hamburg (1,8 Millionen Einwohner) klingelte die Polizei bei vier Personen, in Bayern (13,2 Millionen Einwohner) kam der unverhoffte Besuch bei fünf Männern und drei Frauen. Ein Beschuldigter im Freistaat soll ein Hakenkreuz geteilt haben, ein anderer soll ein Video zum G7-Gipfel mit den Worten „Bombe drauf und sauber putzen“ kommentiert haben.

Wie viele Verurteilungen von Verdächtigten gab es nach solchen Aktionstagen in der Vergangenheit? Und welchen politischen Weltanschauungen hingen die Täter an? Auf Anfrage der jungen freiheit verwies das BKA auf das zuständige Bundesamt für Justiz. Doch das kann die Fragen nicht beantworten, „weil die dafür erforderlichen statistischen Daten dem Bundesamt für Justiz nicht vorliegen“.

Das sächsische Landeskriminalamt hat jedoch die ihnen bekannten „Haß-Postings“ der vergangenen zwei Jahre gesammelt und analysiert. Die Zahl der Delikte mit einem rechten Hintergrund sank dabei marginal von 121 Fällen 2020 auf 112 Fälle im vergangenen Jahr. Die Zahl strafrechtlich relevanter Beiträge von links stieg dagegen leicht, von 30 im Jahr 2020 auf 36 im Jahr 2021. Den deutlichsten Anstieg gab es im Phänomenbereich „nicht zuzuordnen“. Wurden 2020 noch 24 Vorfälle so eingeordnet, waren es im vergangenen Jahr 63. Insgesamt ist die Zahl von „Haß-Beiträgen“ im Freistaat leicht gestiegen, von 176 Fällen im Jahr 2020 auf 213 im vergangenen Jahr. 

Diese Zahlen dürften allerdings nicht für das ganze Land repräsentativ sein. Laut BKA sind die bundesweiten Fallzahlen rückläufig, von 2.607 im Jahr 2020 auf 2.411 im Jahr 2021. Für die Behörde ist das jedoch „kein Grund zur Entwarnung“, weil „von einem großen Dunkelfeld auszugehen“ sei. 

Diese Einschätzung teilte auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Am Tag der bundesweiten Polizeimaßnahmen schrieb sie: „Haß und Hetze im Internet gefährden unsere Demokratie und bereiten den Nährboden für extremistische Gewalt. Wir müssen hier klare Grenzen aufzeigen und Täter aus ihrer vermeintlichen Anonymität holen.“