© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/22 / 09. Dezember 2022

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Gegen die Wand
Christian Vollradt

Manchmal ist der Bundestag die Fortsetzung der Grundschule mit parlamentarischen Mitteln. Vorne sitzt jemand, der die wilde Rasselbande mehr oder weniger erfolgreich zu disziplinieren versucht, und an manchen Tagen wird eine Menge Unsinn verzapft. Wie bei den lieben Kleinen ist auch im Hohen Haus die Sitzordnung ein Dauerstreitthema. Susi will nicht neben Robert sitzen, weil der angeblich popelt und komische Klamotten trägt. Unter der Reichstagskuppel läuft das im Prinzip genauso, es ändern sich bloß die Namen. Susi heißt jetzt FDP, und Robert AfD.

Das Stühlerücken im Plenarsaal war bereits vor einem Jahr ein Thema (JF 52/21). In der Weihnachtspause wurde umgebaut, die liberale Bundestagsfraktion rückte gesäßgeographisch in die Mitte, die Union wurde neben die AfD plaziert, die – vom Präsidium aus gesehen – ganz rechts sitzt. Doch so wie sich die ABC-Schützen Susi und Robert nicht nur im Klassenzimmer, sondern ebenso auf dem Schulhof begegnen, laufen sich auch Politiker andernorts über den Weg. Der Schulhof heißt dann Fraktionsebene, und dort residiert die FDP doch wieder neben der AfD, seit die ihren früheren Sitzungssaal an die deutlich gewachsene Grünen-Fraktion abgeben und im Tausch deren vorheriges Quartier im nordwestlichen Turm beziehen mußte (JF 20/22).

Also hat Susi, Verzeihung: die FDP, wieder was zu meckern: Ihr ist der gemeinsam genutzte Vorraum ein Dorn im Auge. Dort stehen die sogenannten Pressewände, also jene Stoffbespannungen, auf denen das Logo der jeweiligen Fraktion aufgedruckt ist. Sie bilden den Hintergrund, wenn beispielsweise die Vorsitzenden vor einer Fraktionssitzung ein Statement in die Kameras und Mikrofone der Journalisten geben. Da das während der Sitzungswochen – meistens Dienstag nachmittags – in allen Fraktionen nahezu zeitgleich stattfindet, sind Begegnungen unvermeidlich. Gerüchtehalber sollen die Freidemokraten zunächst den Wunsch geäußert haben, man möge eine Sichtschutzwand in diesem Foyer einziehen. Das wäre allerdings baulich aufwendig und zudem sehr teuer geworden, so daß Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) schon im Vorfeld abgewinkt habe. Offiziell befaßt hat sich die zuständige Kommission des Ältestenrates für Bau- und Raumangelegenheiten mit diesem Vorstoß nicht, es wäre wohl eine zu peinliche Posse geworden.  

Was das Gremium allerdings beschlossen hat, um dem liberalen Murren „einvernehmlich“ abzuhelfen: Die Pressewand der AfD wird nun versetzt – und zwar in die Nähe ihres alten Fraktionssitzungssaales. Erforderliche „Umgestaltungsmaßnahmen“ könne die Bundestagsverwaltung dann vornehmen. Zugleich wird festgelegt, daß die Pressestatements der Fraktionen „ausschließlich unmittelbar vor den jeweiligen Pressewänden gehalten werden“. Kurios ist die offizielle Begründung für die ganze Verlegung: „Anforderungen an den Brandschutz“. Der schien wohl keine Rolle zu spielen, solange dort die Grünen residierten. Das erinnert wieder an die Grundschule, wo manches nur mit dem Hinweis „aus pädagogischen Gründen“ scheinbar sinnvoll ist.