© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/22 / 09. Dezember 2022

Wenn der Wille fehlt
Gedenkpolitik: Im unwürdigen Gezerre um ein Mahnmal für die Opfer des Kommunismus ist noch immer kein Ende in Sicht
Jörg Kürschner

Ein Jahr nach ihrem Amtsantritt zeichnet sich ab, wie die Ampelkoalition die inhaltlichen Akzente in der Erinnerungspolitik verschiebt; neben den Nationalsozialismus in allen nur denkbaren Schattierungen ist die deutsche Kolonialgeschichte getreten, während die Aufarbeitung der SED-Diktatur nur noch ein Schattendasein führt. 33 Jahre nach dem Mauerfall streitet die Politik noch immer über einen geeigneten Standort für das längst beschlossene „Mahnmal für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft in Deutschland“ (JF 29/17). Zuständig sind der Bund und das Land Berlin, die einer Entscheidung beharrlich ausweichen. 

Es ist eine unendliche Geschichte, die die ehemaligen politischen Gefangenen der DDR längst zermürbt und resigniert zurückgelassen hat. Soweit diese noch am Leben sind, denn viele von ihnen sind inzwischen gestorben; auch an den Folgen der Haft. Die lange Liste „In Memoriam“ der Gedenkstätte für Stasi-Opfer-in Berlin-Hohenschönhausen spricht für sich.

Kein einziger Euro im Haushalt eingeplant

Rückblick: Bereits 2008 hatte eine Initiativgruppe in der aus mehr als 30 Einzelverbänden bestehenden Häftlingsopferorganisation UOKG erste Schritte zur Erarbeitung einer Konzeption für das Mahnmal unternommen. Ab 2012 erhielt die UOKG Projektmittel der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM), um die Konzeption weiterzuführen und eine gesellschaftliche und wissenschaftliche Diskussion über das Mahnmal anzustoßen. In den vergangenen zehn Jahren hat der Bundestag regelmäßig über das Denkmal debattiert und den früheren Häftlingen mit wohlklingenden Worten Unterstützung und Mitgefühl signalisiert. 

So stimmte das Parlament im September 2015 unter der Überschrift „25 Jahre Deutsche Einheit – Leistungen würdigen, Herausforderungen angehen“ einem Antrag von Union und SPD zu, dem zufolge der Bau eines solchen Denkmals „an einem zentralen Ort in Berlin vorzubereiten und zu begleiten“ sei. Ende 2019 bekräftigte der Bundestag das Vorhaben und beschloß eine „Machbarkeitsstudie zu Standortfragen“, für die im Haushalt des folgenden Jahres 250.000 Euro bereitgestellt wurden. 

Im Juni 2020 setzte die zuständige Kultur-Staatsministerin Monika Grütters (CDU) einen neunköpfigen Beirat unter Führung der ehemaligen Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) ein, der bis zum Spätherbst des Jahres eine Konzeption erarbeiten sollte. „Über die Kosten und den Standort für das Mahnmal wird dann erneut der Deutsche Bundestag beschließen“, hieß es seinerzeit in der Presseerklärung. Konkret geschehen ist nichts, außer einer Wiederholung längst bekannter Überlegungen. Ende 2022 stehen weder der Standort des Mahnmals fest, noch gibt es einen Rohentwurf für dessen Gestaltung. 

Im vergangenen März kam das Endlos-Thema erneut auf die Tagesordnung des Bundestags; Union und AfD hatten getrennte Anträge gestellt. Die Redner der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP drückten sich um die Standortfrage. Erstaunlich, hatte sich doch die SPD erst im Juni 2021 (ebenso wie die Union) ausdrücklich für den Standort Scheidemannstraße in der Nähe des Reichstags ausgesprochen. Wie auch die AfD-Fraktion. 

Doch neun Monate später ist die SPD von ihrer Standortentscheidung abgerückt. „Da ist das sogenannte Polendenkmal, da ist das Dokumentationszentrum zum Vernichtungskrieg gen Osten, da ist das Mahnmal für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft. – All diese Vorschläge zielen auf die Scheidemannstraße ab; die konkurrieren miteinander. … Da gibt es keine klare Meinung“, rechtfertigte die SPD-Abgeordnete Katrin Budde den Sinneswandel. Kultur-Staatsministerin Claudia Roth (Grüne) stand nicht auf der Rednerliste. Ein öffentliches Bekenntnis zum Mahnmal ist von ihr nicht überliefert. Warum auch. Im Koalitionsvertrag der Ampel ist es eine unerwähnte Leerstelle in der Erinnerungslandschaft.

Weit fortgeschritten ist hingegen das im Koalitionsvertrag ausdrücklich hervorgehobene, geplante Dokumentationszentrum „Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzungsherrschaft in Europa“. Dabei ist das Projekt erst vor gut zwei Jahren vom Bundestag beschlossen worden. Dennoch sind die Planungen schon so konkret, daß sogar der Platzbedarf für das Besucher-WC mit Wickeltisch, den Pausenraum der Aufsichten, die Teeküche der Leitung und für das Abstellen eines Gabelstaplers ermittelt wurde. Mit dem Zentrum solle die „Erinnerung an die deutsche Verantwortung für den furchtbaren Zweiten Weltkrieg und die Folgen der deutschen Besatzungsherrschaft“ wachgehalten werden, so Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). 

Der renommierte Historiker Hubertus Knabe, der 2018 von Grütters und dem Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Linke) aus seinem Amt als Direktor der Stasi-Opfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen gedrängt worden war (JF 47/20), hält das Projekt nicht nur inhaltlich für problematisch. Mit veranschlagten Baukosten von 120 Millionen Euro und rund zehn Millionen Euro jährlichen Betriebskosten bei geschätzten hundert Mitarbeitern würde alles bisher Dagewesene gesprengt. Zum Vergleich: Für die SED-Opferbeauftragte sind aktuell neun Beschäftigte tätig, zwei weitere Stellen sollen geschaffen werden.

Der AfD reicht es jetzt. Ihren Kulturpolitiker Götz Frömming beschleichen Zweifel, ob das Mahnmal für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft von der Politik, für dessen Realisierung im Bundeshaushalt 2023 kein einziger Euro veranschlagt wurde, überhaupt gewollt wird. Ausdrücklich warnte er im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT davor, das Mahnmal zu „verwässern“, etwa durch eine Einbindung weiterer Opfergruppen ohne Bezug zu den Kommunismus-Geschädigten. Um die unendliche Hängepartie zu beenden, verlangt der Berliner Abgeordnete, den sogenannten „Hauptstadtparagraphen“ zu ziehen, eine Sonderregelung für Berlin als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Nach Paragraph 247 Baugesetzbuch „können die Verfassungsorgane des Bundes ihre Erfordernisse eigenständig feststellen“, wenn sie mit dem Land Berlin zu keiner gemeinsamen Übereinstimmung gekommen sind. Die Rechtslage scheint klar, doch die Koalition blockiert. Der Standort von Denkmalen könne „nicht eindimensional nur anhand baufachlicher Parameter beantwortet werden“, hieß es im Juni auf Anfrage der AfD. 

So geht das Hin und Her zwischen dem Bund und Berlin weiter. Was zumindest die BKM-Antwort auf eine kürzliche Frage der jungen freiheit nahelegt. „Alle weiteren Schritte zur Realisierung sind auch hinsichtlich eines Zeitplans von der Bereitstellung eines geeigneten Grundstücks abhängig“ – so die nichtssagende Antwort. Ende also offen. 

Die Hoffnung der parteilosen SED-Opferbeauftragten Evelyn Zupke dürfte sich kaum erfüllen. „Für mich ist es sehr wichtig, daß das Mahnmal noch in dieser Legislaturperiode realisiert wird, daß möglichst sogar die Grundsteinlegung für das Mahnmal am 70. Jahrestag des 17. Juni 1953, des Volksaufstandes in der DDR, im kommenden Jahr 2023 erfolgen kann“, sagte sie im Sommer bei der Übergabe ihres Jahresberichts. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Foto: Essensausgabe im DDR-Zuchthaus „Gelbes Elend“ in Bautzen (1989): Leerstelle in der Erinnerungslandschaft der Ampel-Koalition