© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/22 / 09. Dezember 2022

Verfassungsgericht setzt der EU Schranken bei der Kreditaufnahme
Zweifel mit Sondervotum
Dirk Meyer

Die Verfassungsbeschwerden gegen die Kreditfinanzierung des 820 Milliarden Euro schweren Corona-Fonds NextGenerationEU seien erfolglos – so das Bundesverfassungsgericht am 6. Dezember. Dies dürften die Kläger anders sehen, denn der Nikolaus hat mit Ruten nicht gespart. Zwar wurden die EU-Kredite mit gesamtschuldnerischer Haftung (Euro-Bonds – jeder haftet für jeden) mit dem Grundgesetz als vereinbar gewertet. Doch interessant sind die Einhegungen: Künftig wird eine erste Schranke durch die Hervorhebung der Zweckbindung von EU-Krediten gesetzt.

So komme die Kreditaufnahme „ausnahmsweise“ dann in Betracht, wenn das Geld „ausschließlich zweckgebunden“ eingesetzt werde, die „Kreditaufnahme zeitlich befristet und der Höhe nach begrenzt ist und die Summe dieser sonstigen Mittel den Umfang der Eigenmittel nicht übersteigt“. Kredite zur allgemeinen Haushaltsfinanzierung sind also unzulässig. Ob der Mitteleinsatz für Klimaprojekte rechtens sei, wird bezweifelt, aber großzügig akzeptiert. Maßgeblich sei zweitens auch der Notfall (Artikel 122 AEUV), konkret die Abwendung wirtschaftlicher Folgen der Corona-Pandemie für einzelne Staaten, nicht hingegen eine Förderung aller Mitgliedstaaten – wie sie de facto mit dem NGEU jedoch stattfindet. Auch ein Verstoß gegen das Nicht-Beistandsgebot (Art. 125) wird kritisch gesehen, da die EU-Kredite nationale Kredite ersetzen. Die Bindung zukünftiger Bundestage durch eine jährliche Haftungszusage von 32 Milliarden Euro bis 2058 wird hingegen als unproblematisch gesehen.

Selbstzweifel des Zweiten Senats kommen zum Vorschein, wenn mit Formulierungen wie „nicht offensichtlich fehlerhaft“ und „nicht offensichtlich unhaltbar“ gearbeitet wird. Besonders interessant wird das Urteil (2 BvR 547/21) vor dem Hintergrund eines Sondervotums des Verfassungsrichters Peter Müller, denn zwischen 1971 und 2000 entfielen auf 1.714 Entscheidungen nur 108 dieser abweichenden Wertungen. Die Senatsmehrheit lasse demnach nahezu alle relevanten unionsrechtlichen Fragen unbeantwortet und verweigere den Dialog mit dem Europäischen Gerichtshof durch ein unterlassenes Vorabentscheidungsverfahren. Im Ergebnis sieht er einen Rückzug des Senats aus der materiellen Ultra-vires-Kontrolle, mit der Verstöße gegen das Grundgesetz festgestellt werden können.