© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/22 / 09. Dezember 2022

Unsicherheit ausgenutzt
Pubertätsblocker: Eine Flut von Behandlungen, aber kein Wissen über die langfristigen Auswirkungen
Jörg Schierholz

Auf dem „Regenbogenportal“ des Bundesfamilienministeriums finden laut „WDR aktuell“ Menschen aus der „LSBTIQ-Community“, also lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und queere Personen, Informationen rund ums Thema „geschlechtliche Vielfalt“.

In der ursprünglichen Version des Artikels mit dem Titel „Jung und trans*“ in „leichter Sprache“ hieß es: „Bist du noch sehr jung? Und bist du noch nicht in der Pubertät? Dann kannst du Pubertäts-Blocker nehmen. (...) Diese Medikamente sorgen dafür, daß du nicht in die Pubertät kommst.“

Der Beitrag richtet sich an Heranwachsende, deren empfundenes Geschlecht nicht das ist, mit dem sie geboren wurden. Ärzte bezeichnen das Phänomen als „Genderdysphorie“. 

Ein medialer Streit entbrannte: Ex-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) nannte die Pubertätsblocker in der Bild einen „großen und schwerwiegender Eingriff in die Entwicklung der Kinder“. So etwas solle die Bundesregierung „nicht wie Hustenbonbons“ empfehlen. Tessa Ganserer und Nyke Slawik, beides Transfrauen, die für die Grünen im Bundestag sitzen, hielten dagegen, daß deren Anwendung sicher und die Wirkung umkehrbar sei.

Um was geht es eigentlich? Unter einer Genderdysphorie versteht man die Störung der Geschlechtsidentität mit einem starken Unbehagen bezüglich des eigenen biologischen Geschlechts. Die Schätzungen zur Häufigkeit in der Bevölkerung variieren stark. Zwischen einer sehr niedrigen gemittelten Häufigkeit von 0,0046 Prozent (Arcelus J et. al. 2015) und 0,3 Prozent in einer großen Metaanalyse der University of California. Zum außergewöhnlich hohen Anteil von 4,2 Prozent der befragten 10 bis16jährigen Hamburger kam eine deutsche Studie unter fast 1.000 Jugendlichen (Becker I, et al. 2017).

Trotz unsicherer Zahlenbasis ist ein rasanter Anstieg dieser Verdachtsdiagnose ebenso wie von neuen Behandlungszentren zu vermerken. In den Vereinigten Staaten erhöhte sich die Zahl sogenannter Gender-Clinics von einer einzigen in 2007 auf über 100 im Jahr 2022. In England hat alleine die berüchtigte Tavistock-Gender-Clinic eine explosionsartige Entwicklung der Überweisungen von Mädchen von mehr als 5.000 Prozent in 15 Jahren registrieren können. In Schweden stieg zwischen 2006 und 2018 die Zahl der Diagnosen einer Genderdysphorie um 1.500 Prozent. 

Es ist völlig unklar, ob eine solche Behandlung umkehrbar ist

Nicht nur bestimmte Medien, sondern auch immer mehr Eltern drängen Ärzte vermehrt Pubertätsblocker ab sieben oder acht Jahren zu verabreichen. In der Tavistock Klinik wurden schon Dreijährige mit Einwilligung der Eltern, manchmal auf ausdrücklichen Wunsch der Erziehungsberechtigten wegen einer vermeintlichen Genderdysphorie behandelt. Zunehmend entfernen Mediziner in angelsächsischen Regionen das Brustgewebe einiger „Transjungen“ bereits ab einem Alter von 13 Jahren, weil das Wegbinden der Brüste Schmerzen und andere physische Probleme verursachen kann.

Körpereigene Wachstumshormone und Sexualhormone sind aber für eine normale Entwicklung in der Pubertät notwendig. Pubertätsblocker wie GnRH-Analoga (Leuprorelin: Trenantone, Enantone oder Triptorelin: Beispiel: Decapeptyl) unterbrechen diese Entwicklung, indem die körpereigene Hormonproduktion und damit die Reifung der Keimdrüsen und die körperliche Geschlechtsentwicklung gehemmt werden. 

Während ihre Altersgenossen die Pubertät durchlaufen, ver­ändert sich der Körper der Betroffenen dann nicht. Ob und wie diese Therapieeffekte reversibel sind, wird kontrovers diskutiert. Beim Mädchen hat eine solche Therapie direkte Folgen für die Knochendichte und auch Formung des weiblichen Beckens, was später zu einem Geburtshindernis mit Gefahren für Mutter und Kind führen kann. Natürliche Sexualhormone haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Reifung des Gehirns und das Verhalten.

Mögliche Folgen der Gabe von Pubertätsblockern sind Gedächtnisverlust, verlangsamte Reaktionen, verringertes Langzeit-Raumgedächtnis, erhöhte Depressivität und Verringerung der kognitiven Fähigkeiten. Es gibt Hinweise darauf, daß die Mädchen durch die Behandlung mehr Verhaltensprobleme, emotionale Probleme und größere Unzufriedenheit mit ihrem Körper hatten als ohne die Medikamente. 

Zugelassen ist der Pubertätsblocker Lupron für die Pubertas praecox, das vorzeitige Auftreten sekundärer Geschlechtsmerkmale (Brustdrüsenwachstum, Hodenwachstum, Schamhaarwachstum) bei Mädchen bereits im Alter von weniger als acht Jahren und bei Knaben im Alter von weniger als neun Jahren, aber nicht bei Genderdysphorie. Eine solche Off-Label-Anwendung ginge allein auf die Verantwortung des Arztes. Zu den in der Fachinformation berichteten Nebenwirkungen gehören emotionale Labilität, Gefühlsschwankungen, Kopfschmerzen, Nervosität, Ängste, Unruhe, Verwirrtheit, Wahnvorstellungen, Schlafstörungen und Depressionen. Patienten sollen hinsichtlich einer Entwicklung oder Verschlimmerung psychiatrischer Symptome strikt beobachtet werden. Mit Vorsicht ist geboten bei Patienten mit psychiatrischer Vorgeschichte.

Inzwischen wurden die Hersteller von Lupron in den USA verklagt. „Die Herstellung, der Verkauf, die Verschreibung und die Anwendung von Pubertätsblockern bei jungen Teenagern und Minderjährigen ist gefährlich und rücksichtslos“, so Generalstaatsanwalt Ken Paxton. „Diese Medikamente wurden für ganz andere Zwecke zugelassen und können schädliche und sogar unumkehrbare Nebenwirkungen haben. Ich werde nicht zulassen, daß Pharmaunternehmen die Kinder in Texas ausnutzen.“

Die Besorgnis, daß Kinder unnötig in Gefahr gebracht werden, hat Länder wie Finnland, Schweden und Großbritannien, die schon früh die geschlechtsspezifische Betreuung für Heranwachsende eingeführt haben, dazu veranlaßt, den Zugang zu invasiven Behandlungen zu begrenzen. Das Karolinska-Universitätskrankenhaus in Stockholm konstatiert in einer neuen Leitlinie zur Therapie von Minderjährigen mit Genderdysphorie, daß gegengeschlechtliche Hormonbehandlungen bei Patienten unter 18 Jahren nicht mehr verschrieben werden sollen, da diese Behandlungen „irreversible negative Folgen“ haben könnten. Ausnahmen wären streng kontrollierte klinische Studien, die nur nach Genehmigung durch den schwedischen Ethikrat durchgeführt werden dürfen.

Dabei beruft man sich auf die britische NICE-Evidenzprüfung, die das Risiko-Nutzen-Verhältnis von hormonellen Interventionen für Minderjährige als zu unsicher beurteilte, sowie Schwedens Agentur für medizinische und soziale Bewertung (SBU).

Das Vereinigte Königreich schließt nun die umstrittene Tavistock-Klinik in London, auf die eine Klagewelle zurollt. Wegen der möglichen juristischen Folgen wie der Beweislastumkehr beim Auftreten von Komplikationen oder dem Vorwurf der Fehlbehandlung stellt die Off-Label-Behandlung mit Pubertätsblockern für behandelnde Ärzte eine existentielle Gefahr dar. In Frankreich wandten sich mehr als 50 Mediziner, Psychiater, Pädiater und Psychologen gemeinsam mit prominenten Feministinnen, Philosophen, Juristen und Soziologen in L’Express an die Öffentlichkeit. Die „Kommerzialisierung des Körpers von Kindern“ zähle zu den „größten gesundheitlichen und ethischen Skandale“, denen man nicht tatenlos zuschauen dürfe, so die rennomierten Experten.

Treiber des Genderdysphorie-Hypes ist vor allem die World Professional Association for Transgender Health (WPATH) mit ihren mehr als 4.000 Mitgliedern. Aber auch sie weist in ihren neuesten Pflegerichtlinien darauf hin, daß es für die langfristige Wirksamkeit der medizinischen Behandlung von Jugendlichen mit Genderdysphorie zu wenig valide Forschungsergebnisse gibt.

Internationaler Widerstand gegen derartige Behandlungen

Ein weiterer Treiber dieses Hypes in Deutschland sind die öffentlich-rechtlichen Medien, welche auch in der „Sendung mit der Maus“ kleinen Kindern Transsexualität nahebringen, der Ableger Funk, das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), die Bundeszentrale für politische Bildung, die bestens vernetzte LSBTIQ-Community und die Kirchen, welche die tiefgreifende Transformation der Gesellschaft auf allen Ebenen durchsetzen wollen. Interessanterweise ist das Tavistock Institute of Human Relations in London bekannt als das älteste Institut für Sozialwissenschaften und Massenbeeinflussung. Dessen prominentester Mitarbeiter Edward Bernays war ein Neffe Sigmund Freuds.

Genderdysphorie gab es schon immer, und es wird auch in Zukunft Menschen geben, die felsenfest davon überzeugt sind, im „falschen Körper“ geboren worden zu sein. Deshalb ist es wichtig, den Betroffenen psychotherapeutisch beizustehen, da sie gegenüber Gleichaltrigen bis zu dreimal häufiger Depressionen, Angststörungen, selbstverletzendes Verhalten bis hin zum Suizid aufweisen. Diese Vordiagnosen sowie ADHS, Psychosen oder Autismus als psychiatrische Begleitdiagnosen müssen genau untersucht werden, um ein adäquates Therapiekonzept für andere Probleme zu entwickeln.

Bei einem Großteil der Dysphorien handelt es sich um ein vorübergehendes Phänomen; die Symptomatik verringert sich bei angemessener psychotherapeutischer Begleitung, und viele Kinder lernen ihre biologische Eigenart zu akzeptieren. Falls doch Pubertätsblocker oder gar das Skalpell zum Einsatz kommen müssen und es unklar ist, ob ein Kind wirklich alle Konsequenzen geschlechtsangleichender Maßnahmen wie die spätere Unfruchtbarkeit erfassen kann, empfehlen einige Institute, den Kindern Keimzellen zu entnehmen und diese aufzubewahren.

Kinder, Jugendliche und auch deren Eltern benötigen eine intensive fachärztliche, aber vor allem ideologiefreie Unterstützung, um sie vor den lebenslangen Folgen einer Fehldiagnose oder einer Übertherapie zu bewahren.

Hier finden Sie die DOI-Codes zu den zitierten Studien

 10.1007/s00787-020-01640-2

 10.1016/j.cpr.2020.101875

 10.1111/jsm.13065

Foto: Ein junger Schwede, der Hormonpräparate zur Umwandlung seiner sekundären Geschlechtsmerkmale nutzt: Die „Kommerzialisierung des Körpers von Kindern“ als prosperierender Markt