© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/22 / 09. Dezember 2022

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Gestern noch gnadenlos ignoriert, heute gefeiert: Als ich die Elvis-Metal-Band Volbeat vor gut zwölf Jahren, im Juni 2010, als Vorgruppe von AC/DC im Berliner Olympiastadion das erste Mal live erlebte, wollte der Funke partout nicht überspringen. Fortan lief das dänische Quartett um Sänger und Gitarrist Michael Poulsen (47) nur auf Nebengleisen mit. Das änderte sich ein paar Jahre später mit jedem weiteren Volbeat-Album, das jeweils Platz eins der deutschen Albumcharts eroberte, zuletzt „Rewind, Replay, Rebound“ (2019) und „Servant of the Mind“ (2021). Am Montag abend dieser Woche dann die vollständige Bekehrung: Aus dem Stand heraus verwandelt Volbeat die Mercedes-Benz-Arena in einen Hexenkessel, vom ersten Titel weg („The Devil’s Bleeding Crown“) sprühen die Energiefunken auf das Publikum über, bis in die oberen Ränge hinein brodelt es, und gleich darauf folgt auch schon der Radiohit „Lola Montez“. Der Song handelt von einer irischen Tänzerin, die als Mätresse König Ludwigs I. von Bayern berühmt wurde. Bei Volbeat heißt es übersetzt so: „Spüre das Feuer, wo sie geht/ Lola Montez, so schön/ Zwielichtig und eine temperamentvolle Dame/ Blendet deine Augen mit ihrem Spinnentanz“. Weitere Höhepunkte des Konzerts sind die Mitsingnummer „Die to Live“ und „Still Counting“ mit seinem Reggae-Intro. Aber Moment, warum eigentlich Elvis-Metal? Darunter wird eine Mischung aus Heavy Metal, Rock’n’Roll, Punkrock, Country und Blues verstanden. Volbeat-Mastermind Poulsen, der urspünglich aus dem Death Metal stammt, fühlt sich nach eigenen Aussagen inspiriert von Legenden wie Elvis Presley, Jerry Lee Lewis und Chuck Berry, ebenso von den Beach Boys und Country-Ikone Johnny Cash, aber auch von Metallica, mit denen Volbeat auf Tour waren. Wie gut dieser musikalische Mix insbesondere live funktioniert, läßt sich hoffentlich bald wieder einmal auf deutschen Bühnen erleben.

Die Kolumnen handeln von Menschen wie du und ich, einfühlsam beobachtet, die allerlei Ängste plagen.

Eine weitere perfekte Art, den eigenen Alltagswirrnissen zu entfliehen, besteht darin, in den – literarisch verdichteten – Alltag anderer einzutauchen. Deshalb sei sowohl zum Selberlesen als auch zum Verschenken zu Weihnachten die in diesem Sommer erschienene Textsammlung „Kummer aller Art“ von Mariana Leky empfohlen (Dumont Buchverlag, Köln, gebunden, 176 Seiten, 22 Euro). Die Schriftstellerin hat dafür 39 ihrer erstmals in der Monatszeitschrift Psychologie Heute erschienenen Kolumnen überarbeitet. Sie handeln von Menschen wie du und ich, von Nachbarn und Verwandten, einfühlsam beobachtet, die allerlei Ängste oder Neurosen plagen oder Schlaflosigkeit oder Liebeskummer oder welthaltige Traurigkeit oder … es sind einfach glänzend mit einer nicht geringen Prise Humor geschriebene Geschichten darüber, „wie wir unsere Macken zu Stärken machen können – und wie wir es schaffen, mit dem zu leben, was wir nicht ändern können“ (Barbara Schöneberger).


„Jagdgebiet der Meinungshyänen“ – so bezeichnet der Kolumnist Harald Martenstein den Kurznachrichtendienst Twitter (Zeit Magazin vom 1. Dezember 2022)