© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/22 / 09. Dezember 2022

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Royales I: In vieler Hinsicht ist die jüngste Staffel von „The Crown“ die schwächste. Aber eins macht sie doch klar: Eine Institution kann nur bestehen, wenn diejenigen, die sie tragen, bereit sind, sich von ihr „konsumieren“ (Arnold Gehlen) zu lassen.

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Antiwestlich: Das Volk „hat uns das Mandat gegeben, einen demokratischen Staat zu bauen und zu regieren und zu verteidigen, aber nicht nach den demokratischen Grundsätzen des Jacobinismus, nicht nach den Grundsätzen, die seit der Französischen Revolution die Demokratien insbesondere unseres Kontinents geprägt haben, sondern nach demokratischen Grundsätzen aus christlicher Schau.“ (Kurt Georg Kiesinger, Mitglied des Bundesvorstands der Partei, in seinem Co-Referat zur Ansprache des Bundesvorsitzenden Konrad Adenauer auf dem 1. Bundesparteitag der CDU in Goslar im Oktober 1950)

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Wenn die Öffentlich-Rechtlichen etwas zur Unterhaltung produzieren, etwa einen Krimi, geht es nach wie vor um ein schweres Verbrechen, das von privaten oder beamteten Ermittlern aufgeklärt werden soll. Allerdings sind – anders als früher – gewisse Vorgaben bei der Ausgestaltung der Rollen zu beachten. Nehmen wir ein aktuelles Beispiel, einen Entführungsfall, der folgendes Personal auftreten läßt: das Opfer (weiblich, empathisch, Akademikerin), der Partner (männlich, psychopathisch, Akademiker, bricht seiner Frau regelmäßig die Knochen), der Täter (männlich, empathisch, aus prekären sozialen Verhältnissen, wollte nur seinem geistig behinderten, aber musikalisch hochbegabten Sohn mittels Kokainhandel ein besseres Leben oder durch Erpressung ein Tonstudio verschaffen), die Ermittlerin (weiblich, empathisch, kompetent), der Ermittler (männlich, klaustrophob, inkompetent), die IT-Spezialistin (weiblich, mit Migrationserfahrung, hoch kompetent, zitiert Nietzsche auf türkisch), die Staatsanwältin (weiblich, mit Migrationserfahrung, hoch kompetent, hat wahrscheinlich mit der Ermittlerin eine lesbische Beziehung), der Gatte der Ermittlerin (männlich, psychopathisch, würgt seine Frau regelmäßig bis an die Grenze der Bewußtlosigkeit).

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In der Wochenendausgabe der Neuen Zürcher Zeitung hat sich deren Chefredaktor Eric Gujer mit dem Nationalismus befaßt. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist der „Nationalismus der Notwehr“, der ganz wesentlich den Widerstandswillen der Ukrainer gegen den russischen Aggressor erkläre und dem Gujer einen Nationalismus gegenüberstellt, der xenophob nach innen und aggressiv nach außen auftritt. Vielen Beobachtungen Gujers wird man kaum widersprechen können. Allerdings leidet die Argumentation an zwei Denkfehlern. Der erste betrifft die Vorstellung, daß der „Nationalismus der Notwehr“ als „Phänomen neu“ ist. Faktisch war der Kollaps der Sowjetunion wesentlich auf „Nationalismen der Notwehr“ zurückzuführen. Das galt für die Rebellion der Ungarn und der Polen gegen den roten Imperialismus ebenso wie für den Selbstbehauptungswillen der Balten oder Ukrainer, die sich entschlossen, aus dem „Völkergefängnis“ auszubrechen. Aber man kann in der Geschichte noch weiter zurückgehen, um festzustellen, daß das, was Hans Kohn „Konternationalismus“ genannt hat, immer eine wesentliche Antriebskraft im Prozeß des nation building war. Erwähnt seien der deutsche Völkerfrühling nach dem Kampf gegen Napoleon oder der Zionismus, der in Reaktion auf den Antisemitismus entstand. Und selbstverständlich sind in diesem Zusammenhang auch diejenigen zu nennen, die Hitler am entschiedensten Widerstand leisteten. Nach üblichen Maßstäben waren Churchill, de Gaulle, Sikorski und Stauffenberg Nationalisten. Womit wir beim zweiten Irrtum Gujers sind: der Behauptung, „die schlimmsten Verbrechen und stupidesten Dummheiten“ seien im Namen des Nationalismus begangen worden. Auch das ist sicher falsch. Denn die von Gujer so wohlwollend als Endpunkt religiöser Fanatismen gewertete Aufklärung brachte die Französische Revolution hervor, die prompt unter Beweis stellte, daß man, die Menschenrechte auf den Lippen, einen Genozid – an den Bewohnern der Vendée – vollziehen und den ganzen Kontinent in Brand stecken kann, was Millionen Menschenleben forderte. Die Erben von Robespierre und Saint-Just – Lenin, Trotzki, Stalin, Mao, Pol Pot etc. – haben nur diese Linie fortgesetzt und die Methoden des internationalistischen Massenmordes aufs äußerste gesteigert. Womit keineswegs bestritten sei, daß Nationalismus ausgesprochen destruktive Wirkungen entfalten kann. Aber es hängt – wie im Fall jeder politischen Leitvorstellung – von den Umständen ab, ob das geschieht, nicht von irgendeiner bösen oder guten Essenz.

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Royales II: Daß eine weiße Hofdame der britischen Königin ihre Position verliert, weil sie sich nach der Herkunft einer schwarzen Britin erkundigt, was selbige als rassistische Infragestellung ihrer Britishness betrachtet, nur um dann sofort den Stolz auf ihre afrikanischen Wurzeln herauszustellen, ist bloß damit zu erklären, daß die woke Doktrin tatsächlich etabliert ist. Denn nur herrschende Meinungen können sich erlauben, beides zu sein: rigide und absurd.

Die nächste Folge der „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 23. Dezember in der JF-Ausgabe 52/22–1/23.