© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/22 / 09. Dezember 2022

Eine neue Bilderwelt
Ausstellung: Das Städel-Museum widmet sich frühen Kupferstichen
Claus-M. Wolfschlag

Kupferstiche gehören in die Kategorie der frühesten graphischen Tiefdruckverfahren. Dabei wird ein Bild meist mit einem Grabstichel in eine Kupferplatte geritzt. Die Platte wird danach mit Farbe bestrichen, welche sich in den vertieften Rillen festsetzt. Ein Papier wird schließlich auf die Platte gelegt, mit Hand oder einer Walzenpresse festgedrückt, so daß die mit Farbe gefüllten Rillen übertragen werden und auf dem Papier ein spiegelverkehrtes Bild erzeugen.

Die ab etwa 1420 in Süddeutschland angewendete Technik war ursprünglich nur ein Nebenprodukt der Graveure. Somit waren frühe Kupferstecher in der Regel Goldschmiede. Anders als das ältere Hochdruckverfahren des Holzschnitts, das rasch auch zur Illustration von Büchern Verwendung fand, wurden die ersten Kupferstiche für Alltagszwecke genutzt. Es wurden auf diese Weise Spielkarten hergestellt oder religiöse Andachtsbilder, die zum Beispiel auf Möbelstücke montiert wurden. Oder sie dienten als Vorlagen für Maler.

Neue Drucktechniken revolutionierten die Bilderwelt

Dabei ist zu bedenken, daß sich die damalige Zeit fundamental von der unsrigen unterschied. Während wir heute in einer überbordenden Bilderwelt leben, bei der wir ständig innerlich filtern müssen, um nicht in der Flut der Reize zu ertrinken, gestaltete sich das Leben im Mittelalter und der frühen Neuzeit sehr bildarm. Gemälde und Zeichnungen waren für die meisten Menschen allenfalls in der Kirche zu sehen. Diesen Zustand revolutionierten langsam die neuen Drucktechniken.

In diese Anfangszeit des Kupferstichs führt die aktuelle graphische Schau im Frankfurter Städel, in der etwa 130 deutsche und niederländische Kupferstiche des 15. Jahrhunderts präsentiert werden. Die gezeigten Stiche sind zum größten Teil Mitte des 19. Jahrhunderts durch den einstigen Sammlungsdirektor Johann David Passavant zusammengetragen worden. Darunter sind Werke von Wenzel von Olmütz, Israhel van Meckenem und Martin Schongauer zu sehen, der die Druckkunst damals zu neuen künstlerischen Höhen führte. Schongauers Motive waren Eigenkompositionen. Das war aber nicht selbstverständlich, denn unter den Stechern wurde zahlreich kopiert. Urheberrecht gab es noch nicht, der Originalcharakter der Motive galt wenig, die Präsentation der eigenen Fertigungsfähigkeiten dafür um so mehr.

Manche der Künstler sind nicht namentlich, sondern nur aufgrund ihrer auf den Werken hinterlassenen Monogramme bekannt. Meister BM war dabei in Süddeutschland aktiv, Meister AG in Franken. Als der erste professionelle Kupferstecher gilt Meister ES, der gut verkäufliche Stiche schuf. Diese wurden vom gehobenen Bürgertum für teures Geld erworben. Der Käuferschicht entsprechend finden sich somit nicht nur religiöse Motive unter den Stichen, sondern auch solche, die zum einen Schönheitsideale ihrer Zeit abzubilden versuchten, zum anderen das tölpelhafte Betragen des Bauernvolkes zum Thema hatten. Spott über niedere Schichten fand sich also schon lange vor der Erfindung des Trash-TV der Privatsender.

Die Schau gleitet schließlich zum Übergang ins 16. Jahrhundert. Albrecht Dürer, Sohn eines Nürnberger Goldschmieds, tauchte auf, begeisterte sich für Schongauers Werke und wurde schließlich selbst zu einer in ganz Europa bekannten künstlerischen Größe. So endet die Frankfurter Ausstellung mit einem Einblick in Dürers druckgraphisches Werk.

Die Ausstellung „Vor Dürer. Kupferstich wird Kunst“ ist bis 22. Januar 2023 im Städel Museum, Schaumainkai 63, Frankfurt am Main, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstag bis 21 Uhr, zu sehen. Der Katalog mit 312 Seiten kostet 39,90 Euro.

 www.staedelmuseum.de