© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/22 / 09. Dezember 2022

Wer hat die Kaffeemühle geklaut?
Kino: Otfried Preußlers berühmtes Kinderbuch „Der Räuber Hotzenplotz“ wurde schon wieder verfilmt
Dietmar Mehrens

Scheinbar benötigt jede Generation ihren eigenen Räuber Hotzenplotz. Das Kultkinderbuch von Otfried Preußler begeistert den Nachwuchs seit seinem Erscheinen 1962. Die Geschichte um einen bärtigen Räuber, der Omas Kaffeemühlen entreißt, zwei tapfere Buben, Kasperl und Seppel, die ihn unschädlich machen wollen, und einen bösen Zauberer, der Kinder versklavt und Feen verhext, will einfach nicht aus der Mode kommen.

Nachdem zuvor bereits Gert Fröbe (1974) und Armin Rohde (2006) in die Rolle des von Otfried Preußler (1923–2013) ersonnenen Unholds schlüpften und insbesondere der Film von 2006 mit seiner akribischen Nähe zur Vorlage und beträchtlichen Schauwerten eigentlich wenig zu wünschen übrigließ, stieg diesmal der österreichische Schauspieler Nicholas Ofczarek in das Räuberkostüm. Der macht seine Sache nicht viel schlechter als seine beiden prominenten Vorgänger, aber eben auch nicht besser.

Das ist der Knackpunkt dieses Neuaufgusses: Keine Rolle ist besser besetzt als beim letzten Mal. Besonders hart hat es die Protagonisten erwischt: Waren schon die Kasperl- und Seppel-Darsteller des Films von 2006 austauschbar und ohne besondere Ausstrahlung, sind sie diesmal, gemessen an der Vorlage, kraß fehlbesetzt. Seppel (Benedikt Jenke) ist ein leicht untersetzter Milchbubi, bei dem man in fast jeder Einstellung das Gefühl hat, gleich fängt er an zu weinen. Blondschopf Kasperl (Hans Marquardt) sieht zwar weniger nach Weichei aus, könnte aber auch als Mädchen durchgehen. Keine Spur von der Unverfrorenheit, dem Spitzbübischen der Helden aus Preußlers Buch. Kasperl und Seppel wirken nicht wie furchtlose Lausbuben mit dem Schalk im Nacken, sondern wie zukünftige Pubertätsblocker-Patienten mit Identitätsstörung im Nacken. Seppels Nebensatz: „Wenn ich du bin und du bist ich“, der bei der Verfolgung des Räubers dazu führt, daß sie – mit einigen Konsequenzen für die Handlung – ihre Kopfbedeckungen tauschen, bekommt da eine besorgniserregende zweite Lesart. Und man beginnt zu ahnen, warum die Filmbewertungsstelle den neuen „Hotzenplotz“ prompt mit dem Prädikat besonders wertvoll versah : Zwei männliche Helden, die sich auch noch wie Jungs benehmen, das ist im Zeitalter der totalen Gleichstellung mindestens einer zuviel.

Und sonst? Hotzenplotz ist zwar nach wie vor der Böse, zeigt jedoch deutliche Anzeichen für Resozialisierbarkeit. Wachtmeister Dimpfelmoser (Olli Dittrich) ist keinem kulturmarxistischen Wächterrat zum Opfer gefallen und durfte seine Pickelhaube trotz des eminenten Verdachts von Weltkriegs- und Kolonialismus-Verherrlichung auf dem Kopf behalten. Zauberer Zwackelmann (August Diehl) hat seine Augen diesmal buchstäblich überall. Und auch sonst haben sich Michael Krummenacher (Regie) und Matthias Pacht (Drehbuch) einige Knalleffekte einfallen lassen, die es so bisher nicht zu sehen gab. Mit einer Mondrakete, dem in ein Krokodil verwandelten Dackel Wasti und der Hellseherin Schlotterbeck (Christiane Paul) sind zudem auch Motive und Figuren aus den anderen „Hotzenplotz“-Büchern in die Handlung eingeflossen, was die Neuverfilmung zumindest teilweise rechtfertigt.