© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/22 / 09. Dezember 2022

„Es ist wie die Stasi-Akten“
Beeinflussung des US-Wahlkampfes: Elon Musk läßt die Zensur bei Twitter aufarbeiten
Ronald Berthold

Elon Musk macht Ernst. Der neue Twitter-Eigentümer läßt nicht nur aus nichtigen Gründen gesperrte Nutzer wieder zu. Er hat auch begonnen, die Zensur durch das soziale Medium aufzuarbeiten. Zuletzt ließ er interne Dokumente veröffentlichen, die belegen, wie das Unternehmen die US-Präsidentschaftswahl 2020 zugunsten des heutigen Amtsinhabers Joe Biden beeinflußte.

Die neue Meinungsfreiheit gefällt nicht jedem. Insbesondere die EU will mit aller Macht verhindern, daß auf Twitter ein echter Austausch stattfindet. Die Kommission hat Elon Musk ein Ultimatum gestellt. Sollte er bis zum nächsten Jahr inkriminierte Beiträge nicht löschen lassen und unliebsame Nutzer weiterhin nicht sperren, werde die Plattform in den EU-Ländern abgeschaltet.

Damit würde es die EU Staaten wie China, Nordkorea, Turkmenistan und Iran gleichtun. Dort ist Twitter bereits verboten. Nach einem Bericht der Financial Times hat der französische EU-Digitalkommissar Thierry Breton dem Kurznachrichtendienst nun untersagt, wahllos Nutzer zurückzuholen, die die alten Besitzer gesperrt hatten. Beobachter sind sich einig, daß damit nicht nur, aber hauptsächlich Ex-US-Präsident Donald Trump gemeint sei. Musk hatte nach Abstimmungen auf seinem Profil sowohl Trump als auch anderen verbannten Usern, die nicht gegen Gesetze verstoßen hatten, die Rückkehr ermöglicht.

Enthüllungen zu Hunter Bidens Laptop gezielt klein gehalten

Kein kritisches Wort verlor die EU dagegen über die Zensur-Maßnahmen des Kurznachrichtendienstes, bevor Musk das Unternehmen kaufte. Am Beispiel der Geschichte über den Laptop des Sohnes des heutigen US-Präsidenten Joe Biden, Hunter, ließ der Tech-Milliardär dokumentieren, wie rigide Twitter die US-Demokraten vor der Enthüllung eines Skandals schützte. Die Akten arbeitete der Journalisten Matt Taibbi durch. Auf Hunter Bidens Gerät befanden sich Hintergründe zu kriminellen Machenschaften der heutigen Präsidenten-Familie in der Ukraine. Die New York Post enthüllte sie damals, knapp drei Wochen vor der Wahl, die Biden letztlich gegen Amtsinhaber Donald Trump gewann.

Der Kurznachrichtendienst hatte die Verbreitung des Artikels auf allen Wegen gesperrt. „Twitter unternahm außergewöhnliche Schritte, um die Story zu unterdrücken, Links dazu zu entfernen, und diese als ‘unsicher’ zu markieren“, faßte Taibbi nun seine Erkenntnisse, die er im Auftrag Musks recherchiert hatte, zusammen. Das Unternehmen habe sogar verhindert, daß Nutzer den Artikel als private Nachricht weiterleiten konnten. Das sei nur für Extremfälle wie Kinderpornographie vorgesehen.

Selbst die damalige Sprecherin des Weißen Hauses, Kaleigh McEnany, durfte nicht mehr auf ihr Profil zugreifen, nachdem sie versucht hatte, die Geschichte zu twittern. Daraufhin schaltete sich Trumps Wahlkampf-Manager Mike Hahn ein, wie aus den veröffentlichten Nachrichten hervorgeht. Er „kochte“, wie Taibbi schreibt, und wandte sich sarkastisch an Twitter: „Versuchen Sie wenigstens für die nächsten 20 Tage, die Geschichte zu unterdrücken.“ Damit meinte Hahn den Wahltermin.

Die jetzt veröffentlichten E-Mails geben einen erschütternden Eindruck davon, wie in dem Unternehmen daran gearbeitet wurde, eine Investigativ-Story zu diskreditieren. Aus dem internen Schriftwechsel geht hervor, daß sich die Entscheider im klaren waren, daß es keinen belastbaren Grund gab, die Verbreitung des New York Post-Artikels zu sperren.

Am vergangenen Sonnabend legte Musk nach. In einem Twitter-Austausch unter anderem mit Kim „Dotcom“ Schmitz und Ian Miles Cheong schrieb der 51jährige, daß er nicht nur Taibbi, sondern auch der früheren New York Times-Redakteurin Bari Weiss, die heute für die Welt arbeitet, „uneingeschränkten Zugang“ zur internen Twitter-Kommunikation ermögliche.

Musk stellte fest: „Es ist offensichtlich, daß es weitreichende Zensur gegeben hat, darunter Dinge, die den Ausgang von Wahlen beeinflußt haben. Es ist wie die verdammten Stasi-Akten. Diese Akten müssen einfach bekannt gemacht werden.“ Von „üblen Dingen“, die Twitter getan habe und die er nun öffentlich machen wolle, sprach der Eigentümer. Es gehe ihm darum, „für die Zukunft wieder Vertrauen herzustellen“. Musk: „Wenn etwas gelöscht oder jemand gesperrt wird, müssen wir transparent erklären, warum.“

Grenzen zieht Musk weiterhin. Den Rapper Kanye West habe er gesperrt, weil dieser öffentlich Hitler lobte und ein Hakenkreuz in einem Davidstern twitterte. „Ich wollte Kanye aufs Maul hauen“, sagte der Unternehmer. Aber frühere Sperren anderer Nutzer sehe er „problematisch“. Er stehe für ein „ausgewogeneres System, das nicht so linkslastig oder gar linksextrem ist“. Auch solche User dürften weiterhin auf Twitter schreiben, aber es brauche unterschiedliche politische Ansichten und Meinungsfreiheit.

Zurück zur Zensur im Fall Hunter Biden. Der heutige Präsidenten-Sohn hatte seinen Laptop 2019 zur Reparatur gebracht, aber nie abgeholt. Darauf hatte der Inhaber des Computer-Ladens Dateien über kriminelle Aktivitäten entdeckt und dem FBI übergeben. Doch als die Bundespolizei mehr als ein Jahr nichts tat, spielte der Mann die Inhalte Trump-Anwalt Rudy Giuliani zu. Der wiederum gab sie an die New York Post.

Twitter hatte damals auch damit argumentiert, es habe eine allgemeine Warnung des FBI gegeben, die Geschichte verstoße gegen geltendes Recht. Doch dergleichen konnte der Journalist Taibbi nicht in den Akten finden. Die Entscheidung habe damit nichts zu tun. Sie sei vielmehr auf der höchsten Ebene bei Twitter getroffen worden – aber ohne das Wissen des damaligen CEO Jack Dorsey.

Jedem in der Unternehmensspitze, so Taibbi mit Bezug auf einen Ex-Mitarbeiter, sei innerhalb von wenigen Stunden klar gewesen, daß die Begründung für die Zensur nicht zu halten gewesen sei. Aber niemand hätte das rückgängig machen wollen.

Mitarbeiter waren sich darüber bewußt, im Unrecht zu sein

Wie sehr man sich bei Twitter bewußt war, im Unrecht zu sein, geht aus der E-Mail einer Führungskraft hervor. Der Mann schrieb noch während der aufgeregten internen Debatte: „Ich ringe mit mir zu verstehen, wie die Biden-Geschichte als ‘unsicher’ markiert werden konnte.“ Dennoch wollte auch er die Politik des Unternehmens nicht korrigieren.

Stattdessen schlug er vor, anzukündigen, man  warte ab, ob die Story auf gehacktem Material beruhe. Bezeichnend ist auch die Antwort eines Kollegen. Dieser fragte postwendend, ob Twitter jetzt auch andere Geschichten, die gut für den damaligen Präsidenten seien, sperren solle. Es folgte ein Link zum Trump-nahen Sender Fox News.

Bidens Partei, die Demokraten, hatte sich laut Taibbis Recherchen nicht in die Zensur-Debatte eingemischt. Es war auch nicht nötig, denn Twitter tat aufgrund der Gesinnung der Mitarbeiter alles, was sich der damalige Kandidat wünschte. Nur der demokratische Kongreß-Abgeordnete Ro Khanna wandte sich an die Chefin der Rechtsabteilung des Kurnachrichtendienstes. Er bereitete Twitter darauf vor, daß es eine „riesige Gegenreaktion“ der Republikaner gegen die Zensur geben werde: „Ich hoffe, du bist bereit dafür.“ Sie war es. Von diesen den Kandidaten Biden belastenden Fakten auf dem Laptop erfuhren die Twitter-Nutzer bis zum Wahltag nichts.