© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/22 / 09. Dezember 2022

Wenn das Faxgerät zweimal rattert ...
... liegen Historikernerven blank: Ein getrübter Rückblick auf die Hohenzollerndebatte und die Kultur der Einschüchterung
Oliver Busch

Auch Bewohner des krisenfesten Überbaus bekommen in ihrem Rundum-sorglos-Leben mitunter die „Schärfe des Seins“ (Martin Heidegger) zu spüren. So wie der inzwischen seinen Ruhestand genießende Martin Sabrow (HU Berlin), der langjährige Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam, der gegen Ende seiner Lehrtätigkeit noch einmal viel Aufmerksamkeit in der Debatte um die Entschädigungsansprüche des Hauses Hohenzollern erregte. 

Die Schärfe des Seins lernten Sabrow, der „Adelshistoriker“ und Hohenzollernhasser Stephan Malinowski sowie einige ihrer Mitstreiter in Form von Abmahnungen kennen, die der amtierende „Chef des Hauses“, Georg Friedrich Prinz von Preußen, ihnen in verschwenderischer Fülle zukommen ließ. Juristisch agierte der Prinz dabei zwar so unglücklich, daß er vom Jäger zum öffentlich Gejagten wurde und im letzten Frühjahr schließlich in der New York Times selbstkritisch die Plausibilität der Vorwürfe einräumte, die ihm unterstellten, die Wissenschaftsfreiheit einschränken zu wollen. 

Gleichwohl erschütterten, wie Sabrow im Rückblick auf die weiterhin gerichtlicher Klärung harrende „Hohenzollernauseinandersetzung“ bejammert (Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 9/2022), die Schriftsätze von Georg Friedrichs Anwälten die offenbar nicht belastbaren Nervenkostüme seiner Kontrahenten, die sich an der historischen Delegitimation seiner Ansprüche versuchten. Es habe deren „psychische Verfassung berührt, eine einstweilige Verfügung auf dem Weg der amtlichen Zustellungsbeurkundung in Empfang nehmen zu müssen oder die Höhe einer angedrohten Geldbuße im Falle fortgesetzter Zuwiderhandlung mitgeteilt zu bekommen“. Das mit ihnen derart getriebene Wechselspiel von Angsterregung und Angstbewältigung begünstigte eine „Unkultur der Einschüchterung“. Denn nicht nur prekär beschäftigte Historiker hätten „Existenzangst“ erlebt, wenn „ein Schreiben aus dem Faxgerät“ ratterte, das ihnen binnen 48 Stunden eine rechtliche Reaktion abverlangte oder sie mit finanziellen Forderungen konfrontierte, die ihr Jahreseinkommen überstiegen. Schlimmer noch: Wissenschaftler seien nun einmal so zart besaitet, daß jede Vermutung einer unredlichen fachlichen Aussage das Schamempfinden auslöse, den übernommenen Forschungsaufgaben professionell nicht gewachsen gewesen zu sein. 

Doch jenseits solcher Empfindlichkeiten in diesem „skandalpolitischen Lehrstück“ meint Sabrow hier eine gefährliche Tendenz zur Verrechtlichung des Historischen zu erkennen. Der Hohenzollernstreit künde insoweit auch von einer „kulturellen Wertverschiebung“. Weil mit zunehmendem Bewußtsein für den Schutz des Individuums als zentralem Wert in modernen westlichen Gesellschaften das vom Grundgesetz (GG) verbürgte Postulat der Wissenschaftsfreiheit mehr und mehr auf den aus Artikel 1 GG abgeleiteten Persönlichkeitsschutz stoße. Wo es früher mit einer Replik sein Bewenden hatte, drohten heute immer häufiger juristische Konsequenzen, würden Zitierfehler mit Unterlassungsbegehren quittiert. Daher weise der bald nach der Wiedervereinigung entstandene Konflikt um die Restitutionsansprüche des einstigen deutschen Herrscherhauses exemplarisch voraus auf Einschränkungen, die künftig eine „fachlich abgestützte Geschichtsschreibung“ unter Berufung auf den Persönlichkeitsschutz behindern könnten. Dieser allerdings noch auf wirtschafts- und umweltrechtlich relevante Streitigkeiten begrenzte Trend bilde sich gegenwärtig im angelsächsischen Rechtsraum aus, wo „strategische Klagen“ nicht mehr auf gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen, sondern auf die erfolgreiche Vorfeldeinschüchterung des Prozeßgegners zielen.  

These vom „erheblichen Vorschub“ für das NS-System bestätigt

Doch trotz des psychischen Stresses für die Beteiligten, der sich ankündigenden „Verrechtlichung des Historischen“ und auch unabhängig vom Ausgang des beim Potsdamer Verwaltungsgericht anhängigen Verfahrens, glaubt der heutige Senior Fellow des ZZF unterm Strich feststellen zu dürfen, daß der „Hohenzollernstreit“ den Freiraum gegenwartsnaher Zeitgeschichte abgesichert und das Bewußtsein für die juristisch nicht zu zähmende „Eigenlogik historiographischer Erkenntnisgewinnung“ gesteigert habe. Wie schön, daß der Effekt dieses für Status-quo-Verteidiger beruhigenden Fazits noch durch Sabrows Illusion verstärkt wird, es habe sich ein Grundkonsens herausgebildet, dem zufolge es wissenschaftlich unmöglich geworden sei, abzustreiten, die Hohenzollern, namentlich Kronprinz Wilhelm, hätten dem NS-Regime „erheblichen Vorschub“ geleistet. Da hat der Herr Ruheständler bislang wohl keine Muße gefunden, jene ihm massiv widersprechenden Studien zu lesen, die der von Frank-Lothar Kroll edierte Sammelband zur Hohenzollerndebatte vereint (JF 51/21).

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Foto: Georg Friedrich Prinz von Preußen bei der Vorstellung des Buches „Der Kronprinz und die Nazis – Hohenzollerns blinder Fleck“, Berlin 2021: Vom Jäger zum Gejagten geworden